Mondherz
durchbrechen, doch oft lauschte sie nur seiner Flöte, mit der er sich viel lieber auszudrücken schien als mit Worten. Während sie seinen Melodien zuhörte, flogen ihre Gedanken wie Zugvögel über das Land. Dabei wurde ihre Wölfin mehr als je zuvor ein Teil von ihr. Besonders wenn sie an Gábor dachte, spürte sie, wie sie aus der Tiefe auftauchte und ihre Sorgen und Hoffnungen teilte. Gábor schmiedete sie aneinander wie ein eisernes Band und brachte sie in Einklang, als wären sie nicht zwei Hälften, sondern nur zwei Facetten derselben Seele. In einer Nacht ging sie jagen, und obwohl ihr das in ihrer wölfischen Gestalt schwerfiel, hob sie einen toten Hasen für ihr Tagmahl auf.
Nach drei weiteren Tagen erreichten sie Szegedin, eine befestigte Stadt, in welcher der Fluss Maros in die Theiß mündete. Schon von weitem sahen sie die runden Wachtürme mit den Schießscharten, und von den Mauern wehten stolze Wimpel. Szegedin war in ganz Ungarn bekannt für seinen Salzhandel, denn von hier wurde das kostbare Gewürz ins ganze Land verteilt und sogar die Theiß hinauf bis ins ferne Fürstentum Moldau verschifft.
Die Stadt zu umrunden, hätte sie zu viel Zeit gekostet, und so ritten sie durch das Haupttor ein. Es war der Festtag von Kathedra Petri, der Petri Stuhlfeier, und so bevölkerten zahlreiche Menschen die Straßen. Veronika sah Familien, die Holzbänke aus ihren engen Häusern ins Freie trugen, um dort die Sonne zu genießen. Auch die Bänke vor den Tavernen waren dicht besetzt.
Sie stiegen von ihren Pferden und führten sie am Zügel durch die Gassen. Paulo wirkte unruhig, wachsam ließ er seinen Blick schweifen. Er hätte die Menschenmengen, die sich an ihnen vorbeidrängten, wohl lieber vermieden. Veronika hingegen genoss es, die fröhlichen Gesichter anzuschauen, den Stimmen zu lauschen und in ihrem einfachen Gewand eine von vielen zu sein. Hier ging das Leben einfach weiter, gleichgültig, welche politischen Wirren die Oberen umtrieben, und für einen kurzen Augenblick sehnte sie sich danach, tatsächlich eine von ihnen zu sein, eine stolze Szegediner Bürgerin, die wusste, wohin sie gehörte.
An einer Taverne, die auch einen Stall besaß, machten sie halt und erstanden Heu für die Pferde. Während die Tiere fraßen, setzten sie sich auf eine der wenigen Bänke, die noch frei waren. Der Wirt brachte ihnen zwei Krüge Bier. Veronika trank einen Schluck, dann bettete sie den Kopf auf ihre Hände, erschöpft, aber wohlig warm.
»Roma«, murmelte Paulo und schreckte sie auf. Sein Blick hing an zwei Männern, die die Gasse entlangkamen. Ihre buschigen schwarzen Schnurrbärte und ihre dunklen Gesichtszüge wiesen sie als Fremde aus.
»Kennst du sie?«, fragte Veronika aufgeregt.
Paulo nickte. Seine Augen leuchteten auf. »Kein Aufsehen«, sagte er leise. »Ich gehe und rede. Du wartest hier.«
Als er sich an den anderen Gästen vorbeidrängte und hinter den Roma in einer Gasse verschwand, erfasste sie plötzlich eine diffuse Angst. Sie schaute sich um. Am Eingang der Taverne scheuchte der Wirt seine zwei Söhne herum, die gerade neue Bänke aufstellten. Männer und Frauen riefen nach Bier. Zwei Mönche, deren frisch rasierte Tonsuren in der Sonne glänzten, schlugen ein Kreuzzeichen über Brot und Wurst, ehe sie das Essen hungrig in sich hineinschlangen. Ein Pulk aus Händlern debattierte daneben in einer fremden Sprache, und Veronika roch den Duft von exotischen Gewürzen, der ihren seidenen Wämsern entstieg. So viele Menschen, und doch war sie allein. Was wäre, wenn Paulo sie einfach hier zurückließ? Sie schüttelte den Kopf. Was für ein Unsinn. Angespannt strich sie über den Stoff ihres Kleids. Vor zwei Tagen hatte sie ihre Gulden in den seitlichen Saum ihres Unterrocks eingenäht, weil sie dort laut Paulo am sichersten waren. Die Münzen lagen nun schwer an ihrer Hüfte.
Ein paar Männer ließen sich auf der Bank neben ihr nieder, ohne sie zu beachten. Sie schienen einheimische Handwerker zu sein, denn sie scherzten mit dem Wirt und redeten über den Preis für Tuch, der schon wieder gestiegen war.
»Das liegt nur an den Steuern. Der König kriegt einfach den Hals nicht voll«, sagte der eine missmutig und stürzte sein Bier in einem Zug herunter. Sein mächtiger Bauch und der dunkle Rotton seines Gesichts zeugten davon, dass er dem Bier häufiger zusprach. »Bald müssen unsere Frauen ihre Tuniken aus Säcken nähen, während er nur daran denkt, sich bei der Hirschjagd zu
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