Mondherz
seit langem war auch ihre Wölfin auf ihrer Seite.
Wir sind ein Rudel, wir lassen uns nicht im Stich.
»Und ich auch.« Solana flüsterte die Worte, einen Arm immer noch über ihren Bauch gelegt.
Veronika fuhr zu ihr herum. »Das kannst du nicht«, rief sie. »Denk an dein Kind. Du kannst nicht gegen Kriegsknechte kämpfen!«
»Ich kann kämpfen, gegen wen ich will.« Solana richtete sich auf, und zum ersten Mal seit ihrem Wiedersehen sah Veronika das alte Feuer in den Augen ihrer Freundin flackern. Die Zigeunerin warf ihr schwarzes Haar zurück und lachte herausfordernd. »Lass mein Kind nur meine Sorge sein.«
Veronika sah hilfesuchend um sich. Viktor schien Solanas Worten wenig Beachtung zu schenken, sein Blick weilte in der Ferne. Die Phuri Dai saß ganz in sich versunken da. Einzig Ilai starrte seine Tochter aus schmalen Augen an. Er setzte an, ihr zu widersprechen, als Solana ihm zuvorkam.
»Wir Roma sind stolz darauf, unsere eigenen Herren zu sein.« Sie kniff ihre Augen zusammen, und während sie und ihr Vater sich anstarrten, fiel Veronika wieder die Ähnlichkeit zwischen ihnen auf.
»Vater, du selbst hast mir beigebracht, dass wir vor niemandem davonlaufen. Viktor hat uns beschützt, er hat jahrzehntelang für unsere Freiheit gekämpft. Jetzt braucht er unsere Hilfe, und wir denken daran, wie ängstliche Karnickel zu flüchten.«
Ilai runzelte die Stirn, sah zu Viktor und zur Phuri Dai. Veronika konnte fast sehen, wie die Gedanken hinter seiner Stirn tanzten. Er fuhr sich über den Schnurrbart. Schließlich wanderte sein Blick zu seiner Tochter zurück. »Es hat noch nie Sinn gehabt, dir etwas ausreden zu wollen.« Seine Augen leuchteten nun ebenso intensiv wie ihre. »Und dieses Mal hast du recht.« Er wandte sich an Viktor. »Wir werden nicht zulassen, dass du dich für uns opferst. Frauen und Kinder werden die Höhlen verlassen. Die anderen bleiben und werden gegen Drăculeas Männer kämpfen.«
Viktor sagte lange nichts. Das einzige Geräusch war das Knistern der Fackeln an den Wänden. Nach einer Ewigkeit, so schien es Veronika, kehrte endlich das Leben in seine Miene zurück. Er nickte. »Dann sei es so.«
Die Phuri Dai seufzte leise. Trauer lag auf ihren Zügen.
Viktor beugte sich so abrupt vor, als hätte ihm sein Wolf einen Stoß gegeben. Fast schien die alte Geschmeidigkeit in seine Bewegungen zurückgekehrt zu sein. Nur Veronika sah das angestrengte Zittern, das durch seine Muskeln ging.
»Im Süden und Osten ist Türkenland, von dort kann kein christlicher Söldner kommen«, sagte er zum aufmerksam lauschenden Ilai. »Im Westen ist der Fels für Mensch und Pferd zu steil. Sie werden den Pfad von Norden nehmen müssen, auf dem ihr gekommen seid.« Seine knorrigen Hände zeichneten in knappen Bewegungen den Verlauf des Weges nach. »Bevor der Pfad das Tal verlässt und die Hügel des Sfântul Munte erklimmt, führt er durch eine Schlucht.« Ilai und Solana nickten. »Sie ist so eng, dass die Angreifer wie Ameisen hintereinander marschieren müssen.« Er fletschte die Zähne. »Dort erledigen wir sie, einen nach dem anderen.«
[home]
23 . Kapitel
Prag, Ende November 1457
V iktor, dieser sture alte Hund!
Gábor knüllte den Brief zusammen, während er in seiner Kammer auf und ab ging. Wegen eines alten Grolls riskierte er nicht nur sein, sondern auch Veronikas Leben. Sie wolle an seiner Seite kämpfen, hatte Viktor geschrieben. Gábor knurrte unwillkürlich. Viktor war sein Rudelführer, und er würde niemals etwas gegen ihn sagen, doch der Alte war schlau wie ein Fuchs. Wenn Veronika ihm dieses leichtfertige Versprechen gegeben hatte, dann nur, weil Viktor es so wollte.
Draußen vor dem Fenster sah Gábor den Schatten des Romaboten im Abendlicht, der unruhig im Hof des Landguts auf und ab ging. Er war schneller geritten als der Wind, wenn Gábor ihm glauben durfte. Gerade einmal sechs Wochen hatte er für die Strecke vom Sfântul Munte nach Prag gebraucht. Und doch waren es sechs Wochen zu viel. Gábor ballte die Hand um den Brief zur Faust. Sein Wolf zog ihn hinaus, zog ihn nach Osten, um Veronika in Sicherheit zu bringen. Ob Drăculea schon dort gewesen war, um die Werwölfe aus den Höhlen zu räuchern?
Er verzog das Gesicht. Wenn Viktor ihn an seiner Seite wollte, hätte er ihn in diesem Brief darum gebeten. Doch die Zeilen in der Geheimschrift der Wölfe enthielten nichts weiter als ein paar abweisende Sätze und dürre Informationen. Der Älteste hatte ihm allerdings auch
Weitere Kostenlose Bücher