Mondherz
reißendem Stoff, das Bersten und Dehnen seiner Knochen.
Erst als der Wolf heulte, drehte sie sich um. Ein Streifen von buschigem, schwarzem Fell war das Letzte, was sie von ihm sah, ehe er in den Schatten des Waldes verschwand.
Gábor fühlte sich eingesperrt. Der Wolf hatte die ganze Nacht gejagt, doch er blieb unruhig, fast fiebrig.
Früh am Morgen war er bereits in den Kellern unter der Burg gewesen, wo die Soldaten die toten Attentäter hingebracht hatten. Er hatte die Leichen durchsucht, doch in ihren schwarzen Kutten keinerlei Hinweise gefunden, weder auf Drăculea noch auf sonst jemanden. Sie waren alle vier kräftige Männer gewesen, Söldner voller Waffennarben, und ganz sicher hatten sie für ihr Können gutes Geld verlangt.
Auch aus seinem Hausarrest heraus musste Drăculea gute Verbindungen haben, denn Gábor glaubte immer noch, dass Arpad gelogen hatte und es keinen weiteren Auftraggeber gab. Sicher war der rachsüchtige Graf darauf aus, alle Werwölfe aus Viktors Gefolge zu töten. Vielleicht wussten seine Spione sogar nur von Gábor, da er als Einziger jahrelang an Viktors Seite in den Wäldern gelebt hatte. Das würde die Attentate zur Genüge erklären. Wenn das stimmte, dann waren er und die anderen Werwölfe in Sicherheit, wenn er Drăculea einfach die Kehle durchschnitt. Glauben reichte allerdings nicht, er musste mit Sicherheit wissen, wer seine Feinde waren.
Hastig aß er ein paar Happen in seinem Gemach, denn gegen den ewigen Hunger seines Wolfs konnte er nichts ausrichten, dann sprang er schon wieder auf. Es war immer noch früh, und eigentlich sollte er noch ein paar Stunden schlafen – er spürte die schlaflose Nacht in den Knochen. Stattdessen entschied er sich, mit Drăculea zu reden.
Ein Teil von ihm wusste, dass all diese Betriebsamkeit nur daher rührte, dass er nicht über seine Gefühle nachdenken wollte. Veronika war fort, und wenn er nur einmal das Bild der letzten Nacht heraufbeschwor, wie sie durch den Wald davonging, würde er jaulen wie ein räudiger Hund. Er wusste, er hatte richtig gehandelt, auch wenn er sein Herz mit ihr verloren hatte.
Er warf sich eine frische Leinentunika über und band sich mit zwei Handgriffen das Haar im Nacken zusammen. Wenn er mit Drăculea reden, ihn vielleicht sogar einschüchtern und foltern wollte, musste er sich vorher die Erlaubnis des Königs einholen. Als er zur Tür ging, hörte er Schritte auf der anderen Seite. Dem Klacken der Holzschuhe nach war es einer der Bediensteten. Er riss die Tür auf und stand dem königlichen Leibdiener gegenüber.
Der Mann war so erschrocken, dass er zurücktaumelte. »Seine Majestät wünscht Euch zu sehen«, stotterte er. »Er befindet sich in seinen Gemächern.«
»Das trifft sich gut.« Gábor zog mit Schwung die Tür hinter sich zu und ohne auf den Diener zu warten, eilte er den Gang entlang. Er überquerte in großen Schritten den Hof der Burg. Nur kurz stockte er, als er an einem der Treppenaufgänge meinte, Veronikas süßen Duft zu riechen. Er fuhr herum, doch sie war nirgends zu erblicken. Wütend auf sich selbst biss er die Zähne zusammen und ging weiter. Wie schwach war er, dass er nun schon am helllichten Tag träumte!
Mit einer Verbeugung öffnete ihm eine Wache die Tür zu den königlichen Gemächern. Gábor trat so eilig hinein, dass seine Sinne sie erst wahrnahmen, als sich die Tür bereits hinter ihm schloss.
Er fuhr zurück. Kurz zweifelte er an seinem Verstand, doch dann wusste er mit aller Bestimmtheit, dass es kein Traum war. Dass
sie
kein Traum war.
Sie trug ein anderes Kleid als letzte Nacht, eine hochgeschlossene, dunkle Robe, die sich um ihre zerbrechliche Taille schmiegte, als wäre sie Teil ihrer Haut. Ihr Haar, ihre Lippen, er konnte nicht anders, als sie anzustarren. Warum war sie nicht mit den Roma aufgebrochen? Er hatte erwartet, sie monatelang nicht wiederzusehen, vielleicht nie wieder. Und doch stand sie hier. Was hatte das zu bedeuten? Jede Faser seines Körpers strebte ihr entgegen, und ohne es zu wollen, sog er ihren Duft ein wie ein Erstickender.
»Gábor.« Es war der König, der sprach, und jetzt erst sah Gábor ihn hinter Veronika auf dem Thronstuhl sitzen.
Hastig verbeugte er sich, und als er sich aufrichtete, war Veronika ein Stück vor ihm zurückgewichen. Sie stand nun direkt neben Mathias, und ihre grauen Augen blickten ihn unsagbar traurig an. Gábor öffnete den Mund, doch ehe ein Wort über seine Lippen drang, ergriff der König Veronikas
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