Mondherz
Hand.
»Sie ist zu mir gekommen, heute am frühen Morgen.« Seine Augen strahlten. »Sie hat mir meine Lüge verziehen, Gábor, und mich zum glücklichsten Mann der Welt gemacht.«
Gábor spürte, wie er schwankte, und von allen Seiten drang Schwärze auf ihn ein. Nur sein Wolf hielt ihn auf den Beinen. »Was bedeutet das?«, krächzte er.
»Ich füge mich der Prophezeiung.« Veronikas Stimme war leise, doch sie klirrte wie zerbrechendes Glas. »Ich werde mich dem König hingeben, so wie es vorhergesagt wurde.« Sie schenkte Mathias ein Lächeln, dessen Falschheit Gábor noch mehr ins Herz schnitt.
Nein!,
wollte er rufen, wollte ihre Hand packen und sie wegzerren von diesem Jüngling, der so begabt war und doch nichts begriff. Stattdessen stand er starr und steif da, und der Schmerz kroch ihm wie eine Schlange das Rückgrat empor.
»Warum?«, flüsterte er.
Nur Veronikas Wolfsgehör nahm seine Frage wahr. »Ich habe Seiner Majestät soeben von dem Mordkomplott gegen dich erzählt«, sagte sie. »Ich berichtete auch von dem Türken und seinem Entschluss, nur Euch von den Hintergründen dieser schrecklichen Sache zu erzählen.«
»Wer konnte das ahnen.« Mathias klang ehrlich besorgt. »Gestern Abend dachte ich noch, das Attentat gelte mir, doch dass dem nicht so ist, bringt mir keine Erleichterung.« Sein Blick ruhte ernst auf Gábor. »Ich würde all meine Soldaten vor Eure Kammer stellen, um Euch zu schützen, treuer Freund. Und natürlich werden wir Drăculea zu diesen Vorwürfen verhören. Doch Veronika hat mich davon überzeugt, dass das nicht reicht. In ihrer Angst um Euch bat sie mich um das Versprechen, Euch nach Isaccea zu schicken. Ich habe es ihr gegeben.«
»Nach Isaccea?«, wiederholte Gábor ungläubig. »Eure Majestät, ich kann nicht gehen, nur aufgrund der Lüge eines Janitscharen. Meine Anwesenheit hier ist von höchster Wichtigkeit. Denkt an den Machthunger Eures Regenten.«
Mathias schüttelte den Kopf. »Euer Wohlergehen ist mir vorerst wichtiger als Euer Rat. Und Michael war heute Morgen hier. Er hat sich nach dem Attentat erkundigt und mich seiner Sorge und Treue versichert.« Er schnaubte. »Doch ich weiß, dass ich ihm nicht mehr trauen kann. Ich zähle ihn ab heute nicht mehr länger zu meinem Kreis von Ratgebern.«
Auch Veronika schien von dieser Neuigkeit überrascht zu sein. Ihre grauen Augen weiteten sich. Sie erinnerten Gábor an die Weite eines sturmdurchtosten Ozeans. Er riss sich von ihrem Anblick los.
»Eure Majestät, Ihr dürft Michael nicht unterschätzen«, erwiderte er. »Ihr braucht mich. Ihr …« Er stockte. Wollte er denn noch hier sein? Konnte er es ertragen, Veronika an der Seite des Königs zu sehen, sie nachts in seinem Bett zu wähnen?
Mathias schüttelte den Kopf. »Ich brauche Euch lebend«, sagte er mit Nachdruck. »Und deshalb befehle ich Euch, dass Ihr dieser Sache nachgeht. Am besten reist Ihr heute noch ab. Ich werde mich währenddessen selbst um Drăculea kümmern.«
Veronika löste sich von seiner Hand und ging einen Schritt auf Gábor zu, dann noch einen. Sie schien zu zaudern, hob die Hand, dann senkte sie sie wieder. In ihren Augen las Gábor von Liebe, von einer Wahrheit, die ihm wie ein Messer ins Fleisch schnitt. Mit nichts hatte er das verdient. Sie stellte ihre Sorge um ihn über ihre eigene Freiheit, über ihren Kampf gegen die Prophezeiung, der sie quer durch die Lande getrieben hatte.
Ich tue das alles für dich,
las er in ihrem Blick.
»Geh«, flüsterte sie, und er, der auf ihre Berührung gehofft hatte, wusste, dass sie nicht mehr näher kommen würde. »Geh und finde heraus, wer dich töten will. Finde heraus, wer du bist, Gábor.«
[home]
32 . Kapitel
Buda, Juli 1458
A m Tag von Gábors Abreise begann der Hofstaat, sich das Maul zu zerreißen. Mathias Corvinus, der König, der sich bisher trotz seiner Jugend durch Langmut und Überlegtheit ausgezeichnet hatte, traf innerhalb einer Woche mehrere verwirrende Entscheidungen.
Es begann damit, dass er, von vier Soldaten begleitet, die Gemächer des Gefangenen Vlad Drăculea aufsuchte. In den folgenden Stunden gellten die Schreie des Grafen durch die Gänge und ließen die Bediensteten noch schneller an seiner Tür vorbeihasten als üblich. Als die Schreie schließlich verstummten, öffnete sich die Tür, und, von zwei Soldaten gestützt, wurde der Gefangene in den Kerker gebracht, wo ihm eine karge Einzelzelle zugewiesen wurde. Weder der König noch der Gefangene verloren ein Wort
Weitere Kostenlose Bücher