Mondherz
schrie auf, und ehe ihre menschliche Hälfte auch nur einen Gedanken fassen konnte, kauerte sie in der gegenüberliegenden Ecke des Gemachs, riss an ihrem Kragen und knurrte den König an.
Zwei Wachen stürmten in den Raum. Sie eilten zum König, von dessen Unterlippe einige Tropfen Blut rannen. Dann musterten sie Veronika misstrauisch. Sie wandte sich ab und schloss die Augen, drängte mit aller Macht die Wölfin und ihre verstörte Wut zurück. Endlich richtete sie sich auf und brachte mit hastigen Bewegungen ihr Kleid wieder in Ordnung.
»Hinaus«, rief der König. Er klang heiser. »Lasst uns allein!« Als die Männer wieder gegangen waren, starrte Mathias Veronika mit verkniffenen Augen an. Er presste einen Ärmel auf seine Unterlippe, die bereits anzuschwellen begann. »Bleibt weg von mir«, herrschte er sie an, als sie sich ihm nähern wollte.
Trotz ihrer kleinlauten Entschuldigungen verschwand der geschockte Ausdruck nur langsam von seinem Gesicht.
»Wolltet Ihr mich wirklich angreifen?«, fragte er, und sie senkte den Kopf, als sie die Enttäuschung in seinen Augen las. Sie versuchte ihm den Kampf in ihrem Inneren zu erklären, ohne ihm ihre Liebe zu Gábor gestehen zu müssen. Er verstand ihr wirres Gestammel jedoch nicht, und nach wenigen Worten verließ er kopfschüttelnd ihre Kammer.
Verstört blieb sie zurück, wütend auf die Wölfin und auf sich selbst.
Es verstrichen zwei Tage, ehe er wieder nach ihr rufen ließ. Sie fand Mathias in seiner Kammer, wo er auf dem Bett saß und ihr mit zärtlichem Lächeln entgegenblickte.
»Kommt her«, sagte er, und sie wusste nicht, ob es eine Bitte oder ein Befehl war. Nervös setzte sie sich neben ihn.
Erneut wollte sie sich entschuldigen, doch er schüttelte den Kopf. Als er eine Hand auf ihr Knie legte, hinderte sie sich gerade noch daran zurückzuzucken. Wachsam fühlte sie in sich hinein, spürte das Misstrauen ihrer Wölfin.
Ruhig,
flüsterte sie ihr zu.
Es gibt keinen anderen Weg.
»Vielleicht ist ein Teil von Euch wütend auf mich, weil Ihr mir meine Lüge noch nicht gänzlich verziehen habt«, meinte der König und strich ihr übers Haar. »Ich möchte Euch nicht drängen, Veronika. Leistet mir einfach nur Gesellschaft.«
So legte sie sich neben ihn auf sein breites Bett, und er selbst schob seidene Kissen unter ihren Rücken, damit sie es bequem hatte. Sie blieb angespannt und wagte kaum, sich zu bewegen, selbst als er nur ein Buch aus einer Truhe nahm und begann, ihr vorzulesen.
Mit gemischten Gefühlen musterte sie ihn. Das blonde Haar kräuselte sich auf seiner Stirn, und seine Augen leuchteten. Sie mochte ihn, das tat sie wirklich. Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie war froh, dass er sie nicht anblickte.
Sie strich sich über die Augen, dann legte sie eine Hand auf ihren flachen Bauch. Keiner mochte wohl glauben, dass sie bereits zwei Jahre älter als der König war, so glatt waren ihre Wangen und so schlank ihre Taille. Selbst wenn sie ein Kind gebar, zweifelte sie nicht daran, dass sie noch viele Jahre als jung gelten würde. Doch was hatte sie davon? So ein langes Leben erschien ihr ohne Gábor nutzlos und leer.
Sie seufzte, als sie die Geschichte erkannte, die Mathias vorlas. Es war eine ungarische Fassung der Sage um Tristan und Isolde. Viele Dichter hatten sich schon an dieser Erzählung versucht, und Veronika hatte bereits einige Varianten gehört, die sich die Leute abends bei Feuerschein erzählten. Es ging um die tragische Liebe zwischen einem Ritter und einer Königstochter. Tristan sollte Isolde zu ihrem zukünftigen Gemahl, dem König von Cornwall bringen, doch unterwegs verliebten sie sich unsterblich ineinander. Kummer und Verderben brachte diese Liebe über alle Beteiligten. Wenn Mathias doch nur wüsste, dass er die unpassendste Geschichte von allen ausgewählt hatte. Doch sie schwieg.
Abend für Abend las er ihr nun vor, und Abend für Abend verabschiedete sie sich eilig von ihm, ehe er mehr tun konnte, als sie auf die Wange zu küssen. Dann verschwand sie mit bebendem Herzen in ihrer Kammer und hoffte, dass er ihr nicht folgte. Doch sie ahnte, bald würde seine Geduld zu Ende sein.
»Mit dieser Person setze ich mich nicht an einen Tisch!«
Die Witwe Hunyadi stand mit verschränkten Armen da und musterte Veronika mit verkniffenem Gesicht. Es klapperte laut, als die Gräfin von Székhely ihr Messer fallen ließ, mit dem sie gerade ein Stück geräucherte Forelle hatte aufspießen wollen.
Es war eine kleine
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