Mondherz
Gesicht, die geraden Schultern. Der König sah älter aus, als er ihn in Erinnerung hatte, als wäre er in den wenigen Wochen um mehrere Jahre gereift.
Er besann sich und neigte den Kopf. »Euer Majestät.« Doch sein Kopf war leer, und so konnte er nur die einzige Frage stellen, die ihm wichtig war. »Wo ist Veronika?«
»Veronika.« Mathias’ Lächeln verblasste. Mit einer Handbewegung scheuchte er die beiden Mägde hinaus und schloss die Tür hinter ihnen. »Sie ist nicht da«, sagte er ruhig, die Hände über dem Buch gekreuzt.
Gábor nickte. »Davon habe ich gehört. Wo ist sie? Ich muss sie sprechen.«
»Sie ist weg, schon seit über einer Woche«, antwortete Mathias tonlos. »Ich dachte, sie wäre vielleicht bei Euch.«
»Bei mir?« Gábors Herz machte einen Satz. »Was ist passiert?«
»Sie hat ihr Versprechen gebrochen.« Mathias starrte aus schmalen Augen an ihm vorbei auf das Bett. »Sie hat sich mir widersetzt und ist geflohen.« Sein verkniffener Mund zeugte von Wut, doch auch von Sorge. »Ich habe sie suchen lassen, schon am nächsten Morgen. Die Wachen haben bestätigt, dass sie die Burg verlassen hat, doch seitdem ist sie verschwunden.«
Gábor vertraute seinen Beinen nicht mehr. Er ließ sich auf die Bettkante sinken, so ungebührlich dieses Verhalten auch war. Sonnenlicht spiegelte sich in den marmornen Fliesen. »Wo ist sie nur hin?«, fragte er leise.
»Wohin?«, brüllte Mathias plötzlich und warf das Buch vor sich auf den Boden. Dumpf klatschte der Ledereinband auf den glatten Marmorstein. »Das sollte mir eigentlich gleichgültig sein! Sie hat mich belogen und ausgenutzt.«
Gábor erwiderte stumm seinen wütenden Blick. Er bemühte sich, gelassen zu wirken, obwohl in seinem Inneren ein ähnliches Inferno toste. Seine Finger krallten sich in das Laken. Sie war weg. Die Prophezeiung war noch nicht vollzogen.
»Hat es Euch die Sprache verschlagen?«, schnaubte Mathias.
Gábor schluckte. Er musste endlich die Wahrheit sagen. »Ihr wusstet, dass es bei der Prophezeiung niemals um Liebe ging …«, begann er.
»Haltet Ihr mich für dumm?«, unterbrach ihn Mathias barsch. »Ich wäre kein guter König, wenn ich nur auf meine Gefühle hören würde. Die Prophezeiung schien Eurem Wolfsbund so wichtig zu sein, als hinge das Heil der Welt von ihr ab. Mir selbst leuchtete ein, dass uns dieses Kind einmal dienlich sein könnte. Veronika allerdings«, seine Augen blitzten. »Für sie spielte es weder eine Rolle, was ich fühle, noch ob die Prophezeiung jemals erfüllt wird. Sie hat nur eingewilligt, bei mir zu sein, damit
Ihr …
«, er funkelte Gábor an, »außer Gefahr seid.«
Auf einmal ertrug Gábor es nicht mehr, still zu sitzen. Er sprang auf. Mathias schaute ihn an, die Augen zu Schlitzen verengt. Gábor atmete tief durch. »Veronika liebte mich«, sagte er. »Und ich habe sie zurückgewiesen, wegen der Prophezeiung. Obwohl …«, er stockte, dann rauschten die Worte aus ihm hervor, »… ich sie ebenfalls liebe.«
Der König ballte die Fäuste. Aus seinem Blick sprach ebenso viel Bestürzung wie Zorn.
»Jetzt weiß ich, wie falsch es war, sie in Eure Arme zu treiben«, fuhr Gábor schnell fort. »Ich weiß jetzt, wer ich bin, wer mein Vater war. Ich habe ebenfalls königliches Blut in mir.« Er räusperte sich krächzend. »Obwohl viele Christen wahrscheinlich anderer Meinung wären.«
»Was soll das heißen?«, rief Mathias ungläubig. Die Adern auf seiner Stirn pochten. »Was habt Ihr herausgefunden?«
»Der frühere Sultan. Murad II .« Gábor stockte. »Er war mein Vater. Der jetzige Sultan weiß das. Er steckt hinter dem Mordkomplott gegen mich, an dem auch sein Verbündeter Drăculea beteiligt ist.«
Mathias lachte bitter auf. »Das klingt so unglaublich, dass es wahr sein muss.« Seine Hände waren immer noch zu Fäusten geballt, und seine Arme zitterten, als wäre ihm kalt, obwohl er im warmen Sonnenlicht stand. Er sah nach wie vor wütend aus, gleichzeitig aber auch unermesslich traurig.
Gábor schüttelte den Kopf und wollte auf den König zugehen, als dieser sich von ihm abwandte.
»Geht«, stieß er hervor, ohne Gábor anzusehen. »Nehmt Euch die Frau. Tut von mir aus, was Ihr wollt. Ich brauche Eure Dienste nicht mehr.«
Gábor öffnete den Mund, wollte widersprechen. Mathias war zu wütend, um seine Worte wirklich überdacht zu haben. Doch was konnte er seinem König schon sagen? Egal welche Worte er wählte, sie würden falsch klingen oder nach Mitleid.
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