Mondherz
Neffe allerdings weiter stur bleibt, befreie ich Drăculea«, fuhr Michael fort. »Mit Hilfe der Türken wird er sich sein Land zurückerobern. Sie haben ihm sogar den ungarischen Thron versprochen, wenn er ihr Bündnispartner bleibt. Dann hätte er für Veronika Verwendung. Oder ich verkaufe sie an Pavel und Podiebrad, der bald auf dem böhmischen Thron sitzt.« Er schnalzte mit der Zunge. »Wegen der Prophezeiung ist sie gutes Geld wert.«
Plötzlich rumpelte es unter ihnen, Rufe drangen dumpf zu ihnen empor.
»Wer ist das?«, zischte Michael mit neu entflammter Wut. »Hast du dich nicht allein hergetraut, du feiger Hund?«
Während er noch sprach, sprang er nach vorne. Sein Dolch zischte durch die Luft. Gábor wich zur Seite aus. Die Enge des Raums zwang sie beide sofort zu einem neuen Angriff.
Gábors Hieb war schneller. Er traf Michael am Arm. Keuchend sprang der zurück. Blut tropfte auf den Boden. Seine Augen verfärbten sich schwarz, als er seinen Wolf rief. Gábor sah sich um. Er brauchte etwas, um sich vor Michaels Stichwaffe zu schützen … einen Schemel. Er hechtete zu dem Möbelstück, als Michael ihn erneut ansprang. Gerade rechtzeitig hob er den Schemel mit der freien Hand und wehrte Michaels Dolch ab. Michael knurrte, stach wie ein Besessener auf ihn ein und traf doch immer nur das Holz. Fell spross auf seinen Armen, seinen Wangen. Seine Fingernägel formten sich zu Klauen. Er packte den Schemel und riss an ihm, zog Gábor nach vorn.
Gábor stemmte die Füße in den Boden, spürte, wie er ebenfalls die Zähne fletschte. Sein eigener Wolf tobte, und es war nur seiner Selbstdisziplin zu verdanken, dass er noch Mensch war. Egal wie sehr das Tier an ihm riss, er durfte ihm nicht nachgeben. Er durfte auch nicht zulassen, dass Michael sich verwandelte. Als Wölfe waren sie gleich stark, gleich dominant. Wenn sie in ihren Tierkörpern kämpften, rasend vor Wut und Blutdurst, würden sie sich gegenseitig töten. Er musste Mensch bleiben, denn er konnte Michael einzig mit seinem Verstand überwinden.
Mit neuer Kraft stieß er Michael den Hocker gegen die Brust, schob ihn damit zwei Schritte zurück. Er glitt zur Seite und packte ein Kohlebecken, das erloschen und kalt neben dem Pult stand. Mit einer Drehung warf er die schwere Schale Richtung Michael. Eine Aschewolke flog auf. Michael duckte sich. Das Becken verfehlte ihn, doch der Aschestaub wirbelte ihm ins Gesicht. Brüllend ließ er den Schemel fallen. Er griff sich an die Augen, rieb die Asche über Wangen und Stirn. Gábor setzte auf ihn zu, wich den Klauen aus, die blind nach ihm schlugen. Sein Dolch traf Michael in die Seite. Sofort sprang er wieder zurück. Michael jaulte auf. Doch statt sich blind auf Gábor zu stürzen, wich er ebenfalls zurück. Er ging in die Knie.
Da war eine Klappe in der Mauer, Gábor erinnerte sich erst jetzt an sie. Sie schwang auf und Michael rollte hinaus aufs Dach.
Auf dem Boden blitzte etwas. Michael hatte mit dem Schemel auch seinen Dolch fallen lassen. Gábor rannte zur Klappe und ging vor ihr in die Hocke, schützte den Kopf mit den Armen und rollte wie Michael zwischen den tiefen Mauersteinen hindurch. Draußen sprang er sofort wieder auf, streckte die Arme aus, um auf dem abfallenden Dach festen Stand zu finden. Holzschindeln knirschten unter seinen Füßen. Der Himmel war inzwischen dunkelblau, nur ein schmaler Lichtstreif am Horizont zeigte noch, wo die Sonne verschwunden war. Einsam blinkte der Abendstern.
Michael stand zwei Mannslängen entfernt und bleckte die Zähne. Das Wolfshaar in seinem Gesicht hatte sich zurückgebildet, seine Augen waren wieder blau. Aus der Wunde an seiner Seite floss ein dünner Strom Blut. Gábor wusste, der Stich war tief genug, um auch einen Werwolf in Bedrängnis zu bringen.
Den Dolch fest gepackt, ging er auf Michael zu. Eine Schindel rutschte plötzlich unter seinem Fuß weg. Fluchend sprang er zur Seite. Das Holzstück polterte an ihm vorbei in die Tiefe.
Michael lachte grimmig. »Ungewohntes Revier, wie?« Er ballte die Fäuste. »Wirf den Dolch weg. Lass uns kämpfen wie ehrliche Wölfe.«
»Ehrliche Wölfe?« Gábor zog die Augenbrauen hoch. »Du meinst, so ehrlich wie der Giftanschlag?«
Ungeduldig schüttelte Michael den Kopf. »Erzähl keinen Unsinn«, grollte er. »Was ist, bist du zu feige?«
Gábor verharrte. Michael wusste anscheinend nichts von dem Mordkomplott und auch nichts von Gábors Herkunft. Drăculea hatte seinem neuen Freund also ein paar
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