Mondherz
oben gewesen, doch er wusste von der geheimen Kammer, die der verstorbene Graf einst für Michael hatte mauern lassen, vor vielen Jahren, als Michael nach seiner Reitverletzung von Viktor gebissen worden war. Zu schwach war er in den ersten Tagen gewesen, zu unkontrolliert seine Verwandlungen, als dass er unbewacht hätte sein können. Der Graf hatte sich jedoch gegen Viktors Rat entschieden, Michael aus der Stadt bringen zu lassen. Da der Keller damals einsturzgefährdet war, hatte er mitten in der Nacht von drei seiner verschwiegensten Männer die Mauer in sein Turmzimmer einziehen lassen.
Gábor wusste, dass Michael das Turmzimmer hasste. Es war ein Mahnmal seiner Schwäche. Sobald er gelernt hatte, sein zweigestaltiges Blut zu beherrschen, hatte er sich nie wieder dort einsperren lassen. Stattdessen hatte er es später benutzt, um Mitglieder seines Rudels zu maßregeln, indem er sie nächtelang dort arretiert hatte. Und jetzt war Veronika in dieser Kammer gefangen, womöglich schon seit vielen Tagen. Erneut hörte er, wie ihr pelziger Körper gegen die Mauer prallte.
»Ruhig, ganz ruhig«, flüsterte er und zog seinen Dolch, um damit das wesentlich schwerere Schloss zu knacken, das die Eisentür sicherte. »Ich hole dich da heraus.«
»Nicht so eilig.«
Michaels Stimme ließ ihn herumfahren.
Mit einem Satz schnellte der Regent durch die Luke, und obwohl er in dem niedrigen Zimmer den Kopf einziehen musste, schmälerte das seine Bedrohlichkeit nicht im geringsten. Mit einem Fußtritt warf er die Luke hinter sich zu.
»Wie bist du dahintergekommen?«, fragte er, in einem Tonfall, als würde er sich gerade nach dem Wetter erkundigen. Wie zufällig trat er auf die gegenüberliegende Seite des Raumes, seine Hand wanderte zu dem Dolch in seinem Gürtel.
Gábor wich zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Verräter«, zischte er.
Michael blinzelte. »Weil ich die Kleine eingefangen habe, bevor sie abhauen konnte?«
»Nein. Weil du unseren König an Drăculea verraten hast.«
Für einen Moment schien Michael ehrlich überrascht zu sein. Dann riss er den Dolch aus seinem Gürtel. »Verrat, pah!«, grollte er. »Ich habe mir nur die Freiheit genommen, eigene Bündnisse einzugehen.«
»Hinter dem Rücken deines Neffen.«
»Nachdem er mich weggeschickt hat.« Michael verengte die Augen. »Wenn dich deine Familie im Stich lässt, gehst du eigene Wege, so ist das eben.« Er lachte grollend. »Drăculea ist ein kluger Mann. Allein für die Aussicht, dass ich ihn dabei unterstütze, seinen Thron wiederzugewinnen, hat er mir schon einen Platz an seiner Seite versprochen. Als Fürst der Moldauländer, nicht als Diener.«
»Fürst?« Gábor presste die Lippen zusammen. »Ein Gehilfe der Türken wirst du sein, während dein eigenes Volk überrannt wird!«
»Mein Volk.« Michael schnaubte. »Du begreifst es nicht. Warum sollte ich mehr als einen Gedanken an die Menschen verschwenden, egal ob Christen oder Türken? Ich bin ein Wolf. Du bist nur ein Hund, der die Menschen schwanzwedelnd um ihre Gunst anbettelt.«
Gábor atmete tief durch. Er hätte nicht überrascht sein dürfen, und doch war er es. »Und der Wolfsbund?«, fragte er. »Sie werden deinen Pakt mit Drăculea niemals dulden.«
»Und wenn schon. Es gibt auch Wölfe außerhalb des Bundes.« Michael knurrte ihn an. »Hast du Viktors altes Rudel im Norden vergessen? Und es gibt noch mehr, es gibt andere Bündnisse.« Seine Augen blitzten. »Ich habe mit ihnen gesprochen. Sie beobachten uns im Geheimen, während unsere Ältesten glauben, der Nabel der Welt zu sein.«
Gábor schüttelte den Kopf. »Du bist wahnsinnig.« Schon immer war von fremden Wölfen gemunkelt worden, doch er glaubte nicht an deren Existenz. Plötzlich war er es müde, Michael zuzuhören, war es müde, zu kämpfen. Sollte Pavel doch einen weiteren Verräter jagen, oder Mathias kümmerte sich um seinen abtrünnigen Onkel. Er wollte nur Veronika heil hier wegbringen.
»Warum sie?«, fragte er und deutete auf die Eisentür. Als hätte sie ihn gehört, jaulte sie auf.
»Weil sie es herausgefunden hat.« Michael trat einen Schritt zur Seite.
Gábor ließ ihn nicht aus den Augen. »Und was hattest du mit ihr vor?«
Michael zuckte mit den Schultern. »Ich mag sie, aber ihr Mundwerk ist mir zu gefährlich. Wenn mich Mathias wieder als Berater annimmt, muss ich sie wohl umbringen.«
Gábor knurrte. Das würde er niemals zulassen! Sie musterten sich wie zwei hungrige Wölfe.
»Wenn mein
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