Mondherz
jäh verkrampfte sich etwas in Veronikas Brust. »Sie beschuldigten ihn, dass er sie verführt und dann getötet hätte.«
»Und hat er das?«
»Nein.« Miklos hob die Schultern, als ob er selbst nicht allzu viel darüber wüsste. »Die Frau ist gestorben, das hat er mir erzählt, doch er wollte sie nicht töten. Er hat sie gebissen, so wie ich dich. Sie war todkrank, und er wollte ihr Leben retten, indem er sie verwandelte. Aber sie war zu schwach und starb fast sofort. Ihre Verwandten gaben Gábor die Schuld.«
Veronika ballte die Hand, die auf ihrem Schoß lag, zur Faust. Warum störte es sie so, von einer Frau aus Gábors Leben zu hören? Die Frau war nichts als eine alte Erinnerung und ihr Körper war sicher längst zu Staub zerfallen.
Miklos schien ihre Unruhe zu spüren, denn rasch sprach er weiter. »Mein Vater brachte ihn in das verlassene Gehöft, in das wir uns zurückgezogen hatten. Bald näherten sich die päpstlichen Kriegsknechte. Gábor hörte sie schon vor uns kommen und bat uns zu fliehen. Doch mein Vater …« Miklos’ Stimme wurde leiser. »Er wollte nicht mehr fliehen. Er war entschlossen, dieses Mal bis zuletzt zu kämpfen, und seine Brüder unterstützten ihn. Ich weiß noch, wie Gábor auf sie einsprach, wenigstens die Kinder zu retten, doch sie hörten ihm nicht zu. Er hätte gehen können, doch er blieb bei uns, kauerte sich neben mich und meine Schwester. Wir verbarrikadierten uns und warteten auf die Truppen.« Miklos holte tief Luft. »Die Mistkerle hatten jedoch gar nicht vor, gegen Ketzer wie uns ehrlich zu kämpfen. Statt uns anzugreifen, verrammelten sie die Türen des Gehöfts auch noch von außen. Dann zündeten sie es über unseren Köpfen an.« Miklos stockte, Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn.
Veronika schwieg, nichts hätte sie dazu gebracht, seine Erzählung zu unterbrechen.
»Das Haus war aus Holz und das Dach mit Stroh gedeckt«, sprach er schließlich weiter. »Sofort stand alles in Flammen. Während die Erwachsenen beteten und schrien, warf sich Gábor mit seiner übermenschlichen Kraft gegen die Hintertür. Als das Feuer schon die ersten meiner Onkel verschlang, bekam er sie endlich auf. Er schrie uns an, zu fliehen. Soldaten stürmten jedoch sofort auf ihn ein, und er zog sein Schwert, um sie von der Tür zurückzutreiben. Ich hatte solche Angst, wollte meine Schwester an der Hand packen und nach draußen zerren, doch ich fand sie in dem Qualm nicht. Dann hörte ich sie schreien, als die ersten Dachbalken herunterfielen. Die Flammen waren überall, an meinem Gesicht, an meinen Händen. Die Hitze, der Schmerz, es war zu viel. Ich wurde ohnmächtig.« Er schloss die Augen.
Veronika schluckte und drückte fest seine Hand.
»Ich erwachte erst wieder im Wald, wo Gábor mich auf ein Lager aus Moos gebettet hatte«, fuhr er fort. »Ich war der Einzige, den er retten konnte, bevor das Haus in sich zusammengestürzt war. Das Feuer hatte mich jedoch schon verwüstet, und der Rauch hatte meinen Körper so vergiftet, dass ich wohl trotzdem gestorben wäre. Deshalb hat er mich gebissen. Als Werwolf konnte ich die Folgen des Feuers überleben. Nur die Narben blieben.« Er berührte mit seiner freien Hand das Gesicht, strich über die faltige Haut auf seiner Wange, als wolle er sie liebkosen. »Sie erinnern mich daran, woher ich komme.«
»Er hat dich gerettet«, wiederholte Veronika nachdenklich.
Miklos nickte. »Dafür werde ich ewig in seiner Schuld stehen.«
Eine Frage brannte ihr noch auf der Zunge: »Bist du immer noch ein Hussit?«
Miklos hob müde die Schultern. »Ich war doch noch ein Kind«, sagte er. Er schüttelte den Kopf. »Ich hasse die Männer der Kirche, die unschuldige Menschen verbrannt haben.« Sie sah Wut und Trauer in seinen Augen. »Gott kann nicht wollen, dass Menschen auf diese Weise sterben«, sagte er. »Wenigstens hat meine Schwester nicht leiden müssen. Einer der Dachbalken hat sie erschlagen, hat mir Gábor später erzählt. Mein Vater hätte jedoch vorher mit uns fliehen können. Aber er hat beschlossen, sich und uns für seinen Kampf gegen die päpstliche Kirche zu opfern.« Er blinzelte. »Ich bin anders. Kein Glauben und kein Dienstherr können jemals wichtiger für mich sein als Gábor und du. Wir müssen zusammenhalten, was auch passiert.«
Veronika drückte stumm seine Hand. Miklos sah sie als seine neue Schwester an, und das berührte ihr Herz mehr, als sie in Worte fassen konnte. Sie schluckte. »Du solltest jetzt schlafen,
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