Mondkuss
auf der Couch nieder. „Aus unserem gemütlichen Abend wird nichts. Eine Kollegin feiert heute ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag, zu dem sie mich schon vor Wochen eingeladen hat. Zu meiner Schande musste ich feststellen, dass ich ihn vergessen habe. Sie rief gerade an, um nachzufragen, wo ich bleibe. Kommst du mit?“
Marleen seufzte. „Ehrlich gesagt bin ich geschafft. Müde und geschafft.“ „Ach, komm schon. Eine erfrischende Dusche, und du fühlst dich wie neu geboren.“ Sie lachte kurz auf. „Du vergisst, dass ich keine zwanzig mehr bin. Nach einem Tag wie
heute ist mit mir einfach nichts mehr los.“ „Wir müssen ja nicht lange bleiben.“ „Geh du nur. Ich mache es mir lieber auf der Couch bequem.“ „Nichts zu machen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin heute nicht besonders kommunikativ und gesellig. Tut mir
leid.“ Rafael seufzte. „Okay. Ich lass dir aber ihre Adresse hier, falls du es dir doch noch anders überlegen solltest. Würde mich freuen.“
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Eine Stunde später saß Marleen immer noch auf dem Platz, von dem aus sie Rafael beim Ankleiden zugesehen hatte. In seiner schwarzen Hose, dem weißen Hemd und den noch feuchten Haaren hatte er hinreißend ausgesehen. Sie vermisste ihn schon jetzt und musste lächeln, als sie an sein enttäuschtes Gesicht dachte, dass er nach ihrer erneuten Absage gemacht hatte.
Nun saß sie hier und war plötzlich gar nicht mehr müde. Sie war verwirrt, durcheinander, aufgewühlt – nicht eins mit sich. Wo Ruhe sein sollte, herrschte Unruhe. Was sich mit Harmonie füllen sollte, stand im krassen Gegensatz dazu. Eigentlich sollte sie froh sein, dass er sie nicht weiter gedrängt hatte, dass sie es sich nun gemütlich machen konnte. Doch sie war nicht froh. Ihre Sinne waren hellwach, innere Unruhe machte sich in ihr breit, und sie begann ihren Entschluss zu bereuen.
Ob ich doch … ? Sie stand auf, lief zum Fenster, zupfte ein paar welke Blätter von den Pflanzen und setzte sich wieder. Immer noch dieselbe Ratlosigkeit, das Unvermögen, sich zu entspannen und den Abend zu genießen. Entschlossen stand sie auf, um ihren nun gefassten Entschluss in die Tat umzusetzen.
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Marleen schritt durch das offen stehende, schmiedeeiserne Gartentor, gelangte in einen großzügig angelegten Garten, der sich nach Süden hin ausbreitete und den Blick auf ein großes Schwimmbecken freigab. Links davon erstreckten sich ein weitläufiger, gepflegter Rasen und eine riesige Terrasse, die mit Oleander und Rosenstauden umrahmt war. Das Herrenhaus war eine Augenweide. Die apricotfarbene Fassade, die vielen Erker und die weißen Flügeltüren, die zur Terrasse führten, verliehen ihm ein verspieltes, doch edles Erscheinungsbild – zogen die Blicke magisch auf sich.
Von dem luxuriösen und pompösen Anwesen war sie ebenso überrascht wie von den freizügigen Mädchen, die um den Swimmingpool herumlagen. Sie aalten sich in der lauen Sommerabendluft, vertrieben sich mit Flirts, Cocktails und Gelächter die Zeit. Auch ein paar junge Kerle tummelten sich am Beckenrand, bespritzten die holden Weiblichkeiten mit Wasser, spielten Karten und genossen den Champagner in Strömen. Schnüre mit farbigen Glühlämpchen hingen rund um den Swimmingpool, deren Funkeln sich tausendfach im klaren Wasser reflektierte. Alles schein aus einem Prospekt für „Schöner Wohnen“ entnommen zu sein, denn es wirkte irgendwie unwirklich.
Eine attraktive Blondine mit ansehnlichen Brüsten lief an ihr vorbei. Sie trug lediglich einen knappen Bikini, Kettchen um Hüften und Fußgelenke und war perfekt gestylt. Ihr Gang war aufreizend. Sie war halb Kind, halb Femme fatale und Marleen stellte fest, dass sie einen prächtigen Körper hatte.
Geschäftige junge Männer bauten Tische für ein Bufett auf, der Garten war glamourös geschmückt. Marleen blickte sich suchend nach Rafael um. Sie trug ein schokoladenfarbenes, knöchellanges Sommerkleid mit Spaghettiträgern, das wunderbar mit ihrem Haar und ihrer zarten Haut harmonierte. Sandaletten im selben Farbton und ein paar Bernsteinohrringe rundeten ihr Outfit ab. Dennoch fühlte sie sich unter all den jungen, exzentrischen Leuten farblos und langweilig. Außerdem erhöhte sie deutlich das Durchschnittsalter, eine Tatsache, die ihr Unwohlsein bereitete. Sie passte nicht hierher und bereute den Entschluss, Rafael gefolgt zu sein. Die Terrasse, der Kern des bunten Treibens lag wie verzaubert vor ihr. Sträucher, Bäume und Palmen hatten durch das
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