Mondkuss
der Hoffnung, mich zum Abendessen ausführen zu können. Sie drückte den Knopf der Sprechanlage. „Ja bitte?“ „Ich bin’s … Ruth.“ „Oh … Gott sei Dank … du bist es.“ Der Türöffner wurde betätigt und kurze Zeit später öffnete sie der Freundin die Tür. „Was heißt hier ‚Gott sei Dank’? Hast du den Teufel persönlich erwartet?“ „Na ja, ganz so schlimm ist es nicht. Sagen wir mal so, es gibt da jemanden, der sich mehr für mich interessiert, als mir lieb ist. Darf ich dir was zu trinken anbieten? Einen Tee?“ „Gern. Außerdem bin ich neugierig darauf, welch schönes Plätzchen du für das Bild ausgesucht hast.“ Sie ließ sich in einem bequemen Ohrensessel neben der Couch nieder. „Ich habe noch nicht den passenden Platz gefunden“, rief Marleen ihr aus der Küche zu, während sie das Teewasser aufsetzte. „Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht nicht schlecht wäre, das Wohnzimmer zu streichen“, ergänzte sie, als sie aus der Küche kam. „In einem weichen Himbeerton. Dann passt das Bild perfekt.“ „Sag mal, wer ist denn der werte Herr, dem du das Herz gestohlen hast?“ „Ganz so dramatisch würde ich es nicht sehen. Er findet mich interessant und könnte sich mehr vorstellen. Aber von gestohlenen Herzen ist hier mit Sicherheit nicht die Rede, weil ich nie nach seinem Herzen gegriffen habe.“ „Okay, und wer ist derjenige welche, der dir sein Herz vor die Füße warf in der Hoffnung, du hebst es auf?“ „Rainer Strauss, mein Kollege und Chef.“ Ruth pfiff leise durch die Zähne. „Ein interessanter Mann. Und kultiviert dazu.“ „Das reicht aber nicht. Außerdem bin ich an keiner Beziehung interessiert.“ „Ja, ja. Das Thema hatten wir erst. Warte ab, bis der Richtige kommt. Dann wird deine harte Schale durchbrochen und deine Prinzipien werden über Bord geworfen.“ „Danke. Bin nicht interessiert.“ Sie dachte dabei an Rafael, spürte eine leichte Röte in ihrem Gesicht aufsteigen und war froh, als aus der Küche das laute Pfeifen des Wasserkessels ertönte. Kurze Zeit später kehrte sie mit einer dampfenden Kanne Tee und zwei Tassen zurück. Ruths Blick verweilte einige Sekunden prüfend auf Marleens Gesicht. Ihre Augen, die in einem intensiven Blau leuchteten, schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken. Marleen mied ihren Blick, wusste sie doch, dass sie der Freundin nichts vormachen konnte, und dass diese zu spüren schien, dass da noch etwas anderes war als Rainer und sein plötzlich entdecktes Interesse an ihr. Sie senkte die Lider und beschäftigte sich intensiv mit ihrer Tasse, übertünchte die Verlegenheitspause mit einem leichten Lächeln „Dich bedrückt doch etwas. Ich meine etwas Wichtigeres als die Frühlingsgefühle deines Kollegen.“ „Wie kommst du darauf?“ Ruth lachte. „Langsam solltest du wissen, dass mir nichts entgeht. Schon gar nicht, wenn es sich um Menschen handelt, die mir so wichtig sind wie du es bist.“ „Das hast du schön gesagt.“ Marleen seufzte. Sie strich sich mit beiden Händen über die Stirn und durchs Haar, wollte der Freundin von Rafael erzählen, doch die Worte blieben aus. Achselzuckend begegnete sie Ruths verständnisvollem Blick. Augenblicklich lösten sich ihre Schutzschilde auf, denn sie spürte, dass Ruth sie verstehen würde. „Ach, Ruth. Es kommt mir vor, als befehle er mich zu sich. Es ist, als hätte ich nur diese eine Chance im Leben. Dabei möchte ich gar keine Chance. Dennoch ist es schwer, sich gegen die Verlockungen der Emotionen zu wehren.“ „Aber du hast Angst.“ Sie nickte, ohne Ruth dabei anzusehen. „Bist du nicht neugierig?“ „Doch!“ Ihre Stimme klang belegt. „Aber ich fürchte mich, weil ich weiß, dass ich bei diesem Mann nicht auf Abstand bleiben kann, wenn ich ihm erneut begegne. Er hat irgendetwas in mir aufgerissen.“ „Räumliche Distanz ändert nichts, verstärkt nur die Unruhe. Lass dich ein! Du bist stark, du wirst ihn aushalten. Erzähl mir von eurer Begegnung.“ Marleen pumpte mit einem tiefen Atemzug Luft in ihre Lungen, und dann begann sie zu erzählen. Von ihrer ersten Begegnung, seiner Hartnäckigkeit und von ihrem Wunsch, ihn aus dem Gedächtnis zu löschen. „Du hast Angst vor deinen eigenen Gefühlen.“ Ruths Stimme klang sanft. „Ach, Ruth, ich erkenne mich seit dieser Begegnung nicht wieder. Und das gefällt mir nicht. Ich möchte mich nicht verlieren.“ „Wenn du diese Gefühle zulässt, wirst du dich garantiert wiederfinden. Sogar
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