Mondkuss
in sich, überall. Mit Wonne nahm sie wahr, wie er in sie eintauchte, wand sich unter ihm, zuckte und bog sich ihm bereitwillig entgegen. Ihr ruheloses Herz hatte nach Hause gefunden, jede Pore ihres Körpers wusste, wo sie hingehörte. Sie hatte ihr männliches Gegenstück gefunden … endlich! Yin und Yang hatten zusammengefunden und sollten nie wieder getrennt werden. Ein kalter Lufthauch zog über sie hinweg. Sie schauderte, spürte, dass er mit einem Mal fort war und erwachte. Es hatte sich merklich abgekühlt. Sie saß nach wie vor im Korbsessel auf ihrem Balkon und war mit einer Sehnsucht durchtränkt, die fast schon schmerzte. Ein Traum. Sie hatte geträumt. Und der Mann in ihrem Traum war eindeutig Rafael. Sie seufzte, schloss die Augen und wünschte sich augenblicklich zurück in diesen sinnlichen Traum. Doch leider blieb ihr diese Möglichkeit verschlossen. Eine ganze Weile saß sie mit geschlossenen Augen da, hing ihren Gedanken nach und kehrte mehr und mehr in die Wirklichkeit zurück. Sogar in meine Träume schleicht er sich. Reicht es nicht, dass er meine Gedanken durchflutet? Egal, wo ich gehe … wo ich stehe? Marleen seufzte, stand auf, reckte sich und verlagerte den Standort in das wesentlich angenehmer temperierte Wohnzimmer. Die Kühle der Nacht hatte die Wärme des Abends vertrieben. Sie schenkte sich ein weiteres Glas Rotwein ein, und schon der erste Schluck erwärmte ihren Körper. Dann griff sie in ihre Einkaufstüte, zog das neu erstandene Buch heraus und kuschelte sich zu ihren friedlich schlummernden Katzen auf die gemütliche Couch. Sie begann zu lesen, und trotz der Skepsis, mit der sie an die Lektüre herangegangen war, begann sie Gefallen daran zu finden, was die Wörter und Zeilen des Buches ihr vermittelten. Sie las immer noch, als es draußen bereits hell wurde, und die ersten Vögel zu zwitschern begannen.
Kapitel Sechs
Zufrieden schloss Marleen die Akte „Michelski“ und reckte sich. Nur noch zwei Akten und sie konnte für heute Feierabend machen. Die Nacht war kurz gewesen, der Arbeitstag turbulent.
Die ständigen Annäherungsversuche ihres Vorgesetzten Rainer Strauss taten ihr Übriges, und sie freute sich darauf, die Kanzlei zu verlassen. Schon seit einiger Zeit fühlte sie sich hier nicht mehr besonders wohl.
Sie beschloss, sich nach Feierabend ein französisches Baguette, Oliven, Käse und Rotwein zu besorgen und es sich am Abend bei einem Liebesfilm gemütlich zu machen. Mit diesem Entschluss schlug sie den Weg zurück zu ihrem Auto ein. Zu Hause angekommen begrüßte sie Orpheus und Ludmilla gebührend, sorgte für das leibliche Wohl ihrer Minitiger, schlüpfte in ihren Schlafanzug, ließ sich auf die Couch plumpsen und schaltete den Fernseher an. Sie wollte sich von ganz banalen Geschichten berieseln lassen. Ohne Anspruch. Einfach nur seichte Unterhaltung, die sie einlullte und von ihrem Gedankenchaos ablenkte, das sich einfach nicht abschütteln ließ. Sie zappte sich durch die Fernsehkanäle, konnte nichts finden, was ihr auch nur ansatzweise geeignet schien und blieb schließlich halbherzig an einer Diskussionsrunde über das Für und Wider von Patchworkfamilien hängen. Das allabendliche Schmusen mit Orpheus kam ihr da gerade recht. Geschmeidig hüpfte er neben sie, rieb sein Köpfchen an ihrer Wange, forderte eine Unmenge an Streicheleinheiten und legte zur Krönung seine Pfoten links und rechts auf ihre Schultern und begann mit einer intensiven Kopfmassage, indem er ihre Schläfe mit seiner hartnäckig liebkosenden Katzenzunge bedachte. Besser als jedes Fernsehprogramm lenkte er sie auf diese Weise für eine Weile von ihren Grübeleien ab. Schließlich hatte Orpheus genug von dieser Prozedur, legte sich quer über ihren Schoß und ließ sich genüsslich kraulen. Er machte sich dabei ganz lang und wäre vor lauter wohligen Verrenkungen beinahe von der Couch geplumpst. Ludmilla saß etwas abseits und beäugte das Ganze aus gewisser Distanz und jedes Mal, wenn Marleen zu ihr hinschaute, blickte sie rasch in eine andere Richtung und begann sich geschäftig zu putzen. „Hey, du Diva. Lass diese Verlegenheitsputzerei und komm rüber“, lachte sie. „Du bist durchschaut, auch wenn du dich noch so sehr anstrengst, dir nicht anmerken zu lassen, dass du interessiert zuschaust.“ Das Läuten der Türglocke unterbrach das traute Miteinander. Marleen begab sich stirnrunzelnd zur Tür.
Wer mag das bloß sein? Ich hoffe nicht, dass Rainer erneut vor der Tür steht, in
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