Mondkuss
fluchen sollte. „Du hast mich erschreckt!“ Er war ebenfalls stehen geblieben und schlenderte nun auf sie zu. Marleen zwang sich zu einem höflichen Lächeln. „Seit wann joggst du? Wo du doch sonst jeden Meter mit deinem Mercedes zurücklegst“ „Du hast eine gute Kondition“, versuchte Rainer Strauss vom Thema abzulenken. „Wie wäre es, wenn wir anschließend gemeinsam etwas essen gehen? Ich kenne da ein Restaurant …“ „Unsere Zusammenarbeit war bisher immer angenehm. Dabei sollten wir es belassen.“ „Warst du auch so abweisend zu dem jungen Kerl in Lederhosen, der kürzlich bei dir aufgetaucht ist, und mit dem du dich in deinem Büro eingeschlossen hast? Scheinbar nicht, denn sonst hätte er ein paar Tage später sicherlich nicht vor der Kanzlei auf dich gewartet.“ Sie erstarrte. Sollte Rainer etwa Zeuge ihres Liebesspiels gewesen sein? Sie mahnte sich zur Ruhe, atmete tief durch. Der Blick, dem sie ihm dabei zuwarf, war alles andere als freundlich. „Das geht zu weit! Was ich tue, wer mich besucht und mit wem ich mich einschließe, ist ganz allein meine Sache. Oder ist dir das Wörtchen Privatsphäre fremd? Du und ich, wir sind Kollegen … okay, freundschaftliche Kollegen. Aber dies gibt dir noch lange nicht das Recht, dich in mein Privatleben einzumischen.“ „Privatleben!“ Rainers Stimme triefte vor Hohn. „Du gehst allenfalls als die Tante dieses Kerls durch. Wenn du es Privatleben nennst, dich lächerlich zu machen, dann bitte schön. Aber lass dein Privatleben in Zukunft bitte außerhalb der Büroräume. In meiner Kanzlei wird gearbeitet. Deine Schäferstündchen haben dort nichts zu suchen.“ „Okay. Ich habe verstanden.“ Sie wandte sich ab, drehte sich dann noch einmal zu ihm um. „Ach, ja – ich habe in den letzten Jahren keinen Urlaub gehabt, und die Überstunden häufen sich.“ Sie warf ihm einen ironischen Blick zu. „Da ich ja anscheinend in letzter Zeit mein Privatleben so schlecht vom Beruf trennen kann, nehme ich ab morgen Urlaub.“ „Nur zu. Lass die Hormone tanzen, mach dich zum Affen und genieße die Zeit. Wenn du allerdings hoffst, dass ein Kerl wie er sich dauerhaft für eine reife Frau – wie du es bist – interessieren könnte, irrst du gewaltig. Er wird eine Weile von dir naschen und sich früher oder später wieder Frauen seines Alters zuwenden. Vorher allerdings wird er in seinen Kreisen ausreichend damit prahlen, eine Anwältin flachgelegt zu haben.“ Ein kühles Nicken in ihre Richtung, dann lief er in entgegengesetzter Richtung davon. Marleens Gedanken begannen zu rotieren. Was, wenn Rainer recht hatte?! Ihr Herz setzte für einen Moment aus. Und dann begann sie zu laufen. Sie wollte sich Rainers Worte aus Leib und Seele rennen, bis nichts mehr von ihnen übrig war. Ihr Lauftempo wurde immer schneller, schließlich lief sie so schnell, als würde es um ihr Leben gehen. Schneller als sonst hatte sie ihre Strecke hinter sich. Zu Hause angekommen, sehnte sie sich nach einem Bad und nach einer ausgiebigen Schönheitspflege. Sie trat vor den Spiegel, betrachtete ihr Gesicht und zog eine Grimasse. Ja, sie war keine zwanzig mehr. Ging stramm auf die Vierzig zu. Dennoch hatte sie sich eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt. Sie war nicht im herkömmlichen Sinne schön, konnte sich aber durchaus sehen lassen. Ihre Ausstrahlung und der ihr innewohnende Stil gaben ihr das gewisse Etwas. Und die paar Fältchen um ihre Augen taten ihrer Attraktivität keinen Abbruch. Dennoch war deutlich zu sehen, dass sie um einiges älter war als Rafael. Was soll’s. Ich gefalle ihm, und nur das zählt. Ich werde die Momente mit ihm genießen und nicht an das Danach denken. Sie entkleidete sich, trat erneut vor den Spiegel. Mit der zarten Sanftheit einer streichelnden Hand fiel das weiche Licht der Badezimmerlampe auf ihre blasse Haut und zauberte goldene Reflexe. Die Fingerspitzen ihrer rechten Hand ließ sie über ihren Körper tanzen, so wie sie es immer tat, wenn es sie nach Berührungen dürstete. Noch immer fühlte ihre Haut sich an wie das Blatt einer Tulpe, seidig zart und so schrecklich verletzbar. Sie musste lächeln, dachte an den einen, der sich auf die Kunst verstand, in ihr das zu wecken, was ihr bisher verborgen geblieben war: Pure Gier und Leidenschaft. Sie wollte mehr davon. Wollte sich vollkommen hingeben Sie goss duftendes Badeöl in das Wasser der Badewanne, warf, als die Wanne halb voll war, eine sprudelnde Badetablette dazu. Dann ließ sie sich
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