Mondlaeufer
niedrigem Stand kamen nach vorn, um sich vor Andry und dem Hoheprinzen zu verbeugen. Die meisten hatten es eilig, denn sie wollten von diesem Ort verschwinden, wo die Faradh’im in der Morgendämmerung die Luft beschwören würden, um Andrades Asche über den ganzen Kontinent zu verstreuen. Doch einige gingen auch langsam vorbei und starrten den an, der mächtig war, und den, der es sein würde. Rohan nahm ihre Grüße ruhig entgegen und nickte einigen zu, die sich offensichtlich vor ihm fürchteten. Dabei spürte er Masuls Augen wie Nadelstiche, denn er wusste, dass der angebliche Thronfolger sich selbst an seiner Stelle als Hoheprinz sah.
Die meisten Rituale begannen um Mitternacht. Bei einem Herrn oder einer Herrin der Schule der Göttin war das anders. Bei Mondenaufgang woben die Lichtläufer zarte Bahnen, die über das ganze Land geworfen wurden und alle Faradh’im berührten, damit sie Teil des Rituals wurden. Das geschah nicht einmal bei Prinzen. Viele der weit entfernten Lichtläufer erfuhren jetzt erst vom Tod ihrer Herrin; sie in ihrer Trauer zu stützen und das Gewebe weiter auszubreiten, um jeden Faradhi im Land zu finden, kostete Zeit und viel Kraft. Wäre dies in der Schule der Göttin geschehen, wo bisher alle ihre Oberhäupter gestorben waren, dann hätten Hunderte von Lichtläufern und Schülern diese Pflicht gemeinsam erfüllt. Aber hier waren sie kaum genug, um diese Kraftprobe sicher durchzustehen. Einige schwankten bereits und wurden von ihren Nachbarn gehalten, während sie ihre Aufgabe erfüllten. Sioned schickte Tobin und Pol zurück zu ihrer Familie, da beide blass und erschöpft aussahen. Rohan nickte seinem Sohn anerkennend zu, legte jedoch nicht seinen Arm um ihn, um ihn zu stützen, wie es Chay bei Tobin tat. Aus Pols Augen sprach Dankbarkeit, ehe er sich umdrehte, um wieder das Feuer zu betrachten.
Rohan wollte seinen Sohn so gern berühren und die Stille brechen, die das Ritual hervorrief. Er wollte so gern mit ihm über seinen Stolz und seine Zukunftsaussichten sprechen. Morgen, am letzten Tag des Sommers und des Rialla , würde Masul sterben. Rohan wusste noch nicht, wie er es anstellen konnte, doch Masul würde hingerichtet werden. Und wenn ihn doch noch jemand für Roelstras Sohn hielt – so konnten sie schwerlich eine Leiche auf den Thron setzen. Rohan wollte sich nicht länger damit belasten, diesen Möchtegernprinzen zu widerlegen. Sein Tod musste genügen.
Auch die Prinzen und Athr’im setzten sich jetzt in Bewegung, um die Klippen zu verlassen. Rohan war überrascht. Es war doch bestimmt noch nicht nach Mitternacht? Doch die Stellung der Monde verriet ihm, dass der Zeitpunkt gekommen war. Und als Lleyn nach vorn hinkte, entschied Masul selbst, wie er sterben würde.
Er überholte den Prinzen von Dorval ohne jeden Seitenblick und blieb drei Schritte vor Rohan und Pol stehen. Seine grünen Augen waren wie verschattete Quellen, als er dem Scheiterhaufen den Rücken zuwandte und die rituelle Stille brach, die die ganze Nacht hindurch geherrscht hatte.
»Es gibt nur eine Lösung, Hoheprinz«, erklärte er mit lauter, klarer Stimme, die alle aufmerken ließ. Nur die Lichtläufer waren völlig in ihr Ritual versunken. »Ich fordere Euch rechtmäßig heraus – genau wie Ihr es getan habt, als Ihr meinen Vater im Zweikampf besiegtet. Ich werde meinen Anspruch mit meinen eigenen Händen besiegeln.«
Trotz seines Alters konnte Lleyn noch immer losdonnern. »Wie könnt Ihr es wagen, die Heiligkeit dieser Nacht zu stören? Schweigt aus Respekt vor der Herrin, die wir hier ehren!«
»Sie hat keinen Beweis erbringen können«, gab Masul ungerührt zurück. »Und ich habe sowieso keine Verwendung für Faradh’im.« Mit diesen Worten starrte er mit einem schwachen, spöttischen Lächeln auf den Lippen auf Pol herab.
Rohan fühlte, wie Zorn den Körper seines Sohnes durchfuhr. »Hoheit«, sagte er ruhig zu Lleyn, »die Herrin, die wir ehren, hätte die Arroganz dieses jungen Esels wohl zu deuten gewusst. Und sie würde wie ich jede Gelegenheit begrüßen, ihn in den Tod zu schicken, wie er es verdient hat.«
Lleyn verbeugte sich leicht. »Ich glaube, Ihr habt recht, Hoheprinz. Die Herrin hätte ihm zweifellos ins Gesicht gelacht.«
Masuls Körper war vor Wut steif geworden, doch er nahm sich rasch zusammen. »Dann seid Ihr also einverstanden, mit mir zu kämpfen.«
»Dachtet Ihr denn, Ihr könntet mit meinem Sohn kämpfen?« Rohans Lächeln war sehr dünn, und selbst Masul
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