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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Wenn Ihr auch nur an einen herankommt, ohne dass er Euch gleich die Kehle aufschlitzt, bin ich bereit, barfuß nach Santiago zu pilgern. So sieht unsere Wirklichkeit hier nämlich aus - wir bringen sie um, oder sie bringen uns um.«
    Wieder tauschten die beiden Franziskaner Blicke aus. »Gestattet mir eine weitere Frage, Don Rodrigo«, sagte Fra Antonio schließlich mit seiner weichen, so ganz unspanischen Stimme.
    »Wenn der Sultan sich entschließen würde, aus Rache für Granada die Christen aus Jerusalem zu vertreiben oder, sagen wir, ihnen schwere Steuern aufzubürden, einen Teil als Sklaven zu verkaufen und einen anderen Teil dazu zu zwingen, den Glauben zu wechseln - wie würdet Ihr das nennen?«
    »Das wäre die verdammte Schurkerei eines Ungläubigen«, sagte der Marquis, der sehr wohl erkannt hatte, worauf sie hinauswollten, kalt, »und nicht im Geringsten zu vergleichen mit den Mitteln dieses heiligen Kreuzzugs.«
    »Das wollte ich wissen«, sagte Fra Antonio.

    An al Zaghals Bein hatte sich Wundbrand entwickelt, und schließlich blieb den Ärzten nichts übrig, als ihm dieses Bein abzunehmen. Vorher befahl al Zaghal seinen Leuten, sich entweder nach Baza durchzuschlagen oder zu versuchen, die Stadt durch Attacken so weit wie möglich zu entlasten. Dann bereitete er sich darauf vor zu sterben.
    Doch er starb nicht. Er überlebte, und während der Monate, in denen die Belagerung von Baza sich hinzog, verfluchte er dieses Überleben. Für einen Mann, dessen Charakter vorher gleich bedeutend mit dem Wort »Handeln« gewesen war, stellte der lange Heilungsprozess in Guadix, wo er zu untätiger Bettruhe verurteilt war, während um ihn die Welt, die er kannte, in Stü cke fiel, die grausamste Folter dar, die er sich vorstellen konnte.
    Überdies glaubte er sich zu einem Leben als Krüppel verurteilt, und das war für ihn unerträglich. Daher setzte er alles daran, seiner Umgebung das Leben ebenfalls unerträglich zu machen, und irgendwann war Laylas Verständnis aufgebraucht.
    Als sie ihm von den beiden Franziskanern erzählte, deren Mission von Fernando und Isabella nicht hatte geheim gehalten werden können, fauchte er: »Mönche! Ich bitte um Truppen, und was schickt mir der Sultan von Ägypten - Mönche! Mönche und billige Worte! Warum tritt er nicht gleich zum Christentum über?«

    Die letzten Monate hatten ebenso sehr an ihren Nerven gezehrt wie an den seinen, und Layla erwiderte bissiger, als notwendig war: »Vielleicht tut er das noch. Jedenfalls habe ich gehört, dass er sich mit dem König von Neapel gegen den türkischen Sultan verbündet hat.«
    »Ha - und woher willst du das wissen? Tratschen die Sklavinnen darüber?«
    »Nein«, schnappte sie, »es ist das bevorzugte Gesprächsthema Eurer Leibwache.«
    »Der Prophet, gesegnet sei sein Name, war völlig zu Recht der Meinung, aufsässige Frauen mit einer bösen Zunge sollte man schlagen und in ihre Schlafgemächer verbannen.«
    »Er hatte aber sehr wenig Erfolg damit in seinem eigenen Leben. Wenn ich mich recht erinnere, war er es, der sich einen Monat lang in sein Schlafgemach zurückzog, als er bei seinen Frauen in Ungnade fiel.«
    Layla hielt ungläubig inne. Hatte sie das wirklich gesagt? Über den Propheten? Halb erwartete sie, dass der Boden sich unter ihr auftat, halb, dass al Zaghal an Ort und Stelle nach dem Henker rief, um sie wegen Blasphemie hinrichten zu lassen.
    Nichts davon geschah. Stattdessen musterte er sie aufmerksam und stumm. Das zog sich in die Länge, und ihre Blasphemie wurde ihr immer deutlicher. Schließlich sagte sie mit halbwegs sicherer Stimme: »Ich denke, ich werde Euch jetzt die Haare schneiden, Onkel.«
    Er nickte schweigend. Layla verließ das Zimmer, um Schere und Becken zu holen, und beim Hinausgehen erstarrte sie erneut. Ihr war nämlich eben ins Bewusstsein gedrungen, dass ihre Hand sich auf ihrer rechten Schulter befand; sie war dabei, vor Erleichterung ein Kreuz zu schlagen.
    Fluchtartig eilte sie davon. Es ließ sich nicht mehr leugnen; Lucia und ihr kastilisches Erbe verfolgten sie immer noch. Sie hatte geglaubt, sich in Granada mühelos wieder in Layla verwandeln zu können, und musste jetzt feststellen, dass Lucia ein Teil von ihr blieb.
    Als sie wiederkam, hatte al Zaghal sich inzwischen von seinem Bett auf einen Diwan gesetzt oder setzen lassen. Er versuchte, so viel wie möglich ohne Hilfe zu erreichen, doch hin und wieder war das unmöglich. Sich tragen oder schleppen zu lassen, versetzte ihn

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