Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
Der schmerzende Druck half ihr, der Welle von Erinnerungen zu begegnen, die über ihr zusammenschlug. Keine Taubheit schützte sie diesmal; sie keuchte, doch sie weinte nicht.
    Layla konnte nicht mehr einschlafen, also wanderte sie stattdessen umher und ertastete all die vertrauten Gegenstände, die Wände mit ihren Rankenmustern. »Warum so viele Rankenmuster?«, hatte Tariq einmal gefragt, und Ibn Faisal hatte geantwortet: »Weil die Ranke, die in ihrem Wachstum kein Ende nimmt, das beste Sinnbild für den Islam ist.«
    Kurz bevor es Morgen wurde, trat schüchtern eine Sklavin ein und brachte ihr ein Wasserbecken und neue Kleidung, damit sie sich reinigen und an dem Gebet teilnehmen konnte. Sie schaute sich so großäugig in dem Raum um, dass Layla sie fragte, ob etwas nicht stimmte. Die Sklavin errötete.
    »Ich war noch nie hier«, bekannte sie verlegen. »Niemand darf diese Räume betreten, so hat es die Sejidah Alscha angeordnet.

    Die Leute sagen, es spukt hier. Der Geist des alten Emirs, der keinen Frieden findet, und der seiner christlichen Hexe… oh.«
    Ihr Geplapper machte Layla nichts aus - sie hatte inzwischen sehr viel Schlimmeres gehört -, doch es hatte ihr wieder ins Gedächtnis gerufen, dass sie hier nicht nur Muhammad, sondern auch seiner Mutter begegnen würde.
    Alscha al Hurra.
    Alscha, die gesagt hatte: »Tötet ihn«, als handele es sich um ein Lamm, das geschlachtet werden sollte.
    Es gab nicht nur Tote für Layla in der Alhambra, o nein.

    Nach dem Morgengebet ließ Muhammad nicht lange auf sich warten. Zuerst erkundigte er sich höflich, ob die Sklavin, die er ihr geschickt hatte, alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt hatte, und Layla erkundigte sich, ob die Leute aus Guadix und das restliche Gefolge al Zaghals gut untergebracht worden waren.
    Nachdem sie diese Einleitung hinter sich gebracht hatten, konnte sich Muhammad nicht länger zurückhalten. »Verzeih, aber ich möchte wirklich gerne wissen«, sagte er, »warum du hier bist. Als wir uns das letzte Mal sahen, habe ich dir meinen Sohn anvertraut.«
    Der in diesen Worten mitschwingende Vorwurf tat ein Übriges, um Laylas Angriffslust wiederherzustellen. »Erstens«, entgegnete sie kühl, »hast du deinen Sohn nicht mir, sondern den Christen als Geisel übergeben, und ich war zufällig diejenige, die dazu beordert wurde, auf ihn aufzupassen. Zweitens bin ich eine frei geborene Frau und keine Sklavin und kann gehen, wohin ich will.«
    Sie hatte vergessen, wie schlecht sich mit Muhammad streiten ließ. Er senkte den Kopf. »Seine Mutter und ich… wir machen uns große Sorgen um ihn. Geht es ihm gut?«

    Ein wenig besänftigt, erwiderte sie: »Den Umständen entsprechend, ja. Er treibt zwar jeden regelmäßig zum Wahnsinn, aber man behandelt ihn hervorragend… für eine Geisel.«
    »Wie einen Vogel im goldenen Käfig«, sagte Muhammad, und diesmal war Layla es, die den Kopf beugte. »Ja.«
    Um das Schweigen nicht zu lange andauern zu lassen, erzählte sie ihm, wie sie nach Granada gekommen war und von al Zaghal aufgegriffen worden war. Doch ihr war nicht danach, über al Zaghal zu sprechen, also fragte sie ihn statt dessen, was nun geschehen würde.
    »Der Marquis von Cadiz«, schloss Layla, unfähig, sich diese Spitze zu verkneifen, »sagte wörtlich: ›El Chico ist fest in unserer Hand.‹«
    Muhammad richtete sich steif auf. »Etwas höflicher formuliert, hat mir das mein Lehnsherr auch ausrichten lassen«, gab er mit verkniffenem Mund zurück. »Er verlangt, dass ich ihm nun, wo al Zaghal besiegt sei, auch die Hauptstadt ausliefere. Die Botschaft kam gestern, einige Stunden vor eurer Ankunft. Er schien sich mit al Zaghal sehr sicher zu sein, dieser christliche König.«
    »Was hast du ihm erwidert?«, fragte Layla, sorgfältig darauf achtend, nicht an al Zaghal zu denken. Muhammad zuckte mit einem gequälten Gesichtsausdruck die Achseln.
    »Das Gleiche wie vor Loja. Dass ich die Alhambra als sein Vasall halte.«
    Er grinste flüchtig. »Und ich habe hinzugefügt, dass es gemäß unseres Vertrags an ihm wäre, mir die von al Zaghal eroberten Städte auszuliefern - als mein Lehen.«
    Es war nicht ohne Reiz, sich Fernandos Reaktion vorzustellen, doch ihr war klar, dass solche Gesten letztendlich nichts ausrichten würden.
    »Wenn er mit einem Heer hier auftaucht - wirst du ihm die Stadt dann übergeben?«

    »Früher hätte ich es getan«, sagte Muhammad langsam. »Aber inzwischen frage ich mich, ob es für die Einwohner nicht

Weitere Kostenlose Bücher