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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ein entsetztes Gesicht, als die Schwester des Emirs das sagte, und flüsterte ihr später zu: »Aber Sejidah, die Stadt ist völlig überfüllt mit Flüchtlingen, selbst das Albaicin!«
    »Aber nicht die Alhambra.«
    Anschließend begab Layla sich ins Bad, nicht, ohne Nada vorauszuschicken. Sie legte keinen Wert auf weitere zufällige Begegnungen mit Alscha. Es war seltsam, als Frau hier zu sein, hier in den vertrauten und doch fremden Gängen. Layla kam es in den Sinn, dass es vielleicht doch spukte, nur anders, als Nada glaubte - sie selbst war der Geist ihrer Mutter.
    Doch das warme Wasser reinigte und entspannte sie nicht nur, es hielt auch die Echos der Vergangenheit fern; zumindest für eine Weile.
    In ihren Gemächern erwartete sie eine Überraschung, es handelte sich um Morayma, Muhammads Gemahlin. Ali al Atars Tochter. Suleimans Mutter. Anders als Muhammad hatte das Alter sie bereits eingeholt; sie war nicht mehr die zarte Blüte einer Braut, als die Layla sie in Erinnerung hatte, sondern eine kleine, schüchterne, etwas zu üppige Frau.
    Layla wusste zuerst nicht, was sie sagen sollte, und Morayma schien es ähnlich zu gehen. Also griff Layla auf Erzählungen über Suleiman zurück, der wohl den Grund dieses unerwarteten Besuches darstellte. Natürlich verschwieg sie seiner Mutter die dunklen Farben, seine Albträume, seine immer schneller verblassenden Erinnerungen, auch ihre ständigen Streitereien, und malte ihr stattdessen das Bild eines lustigen, frechen kleinen Jungen, der bei gütigen Freunden aufwuchs. Sie hatte sich nicht geirrt; das war es, was Morayma hören wollte. Ihr Gesicht erhellte sich zusehends, und am Ende lachten beide Frauen miteinander über eine halb erfundene, halb wahre Geschichte.
    Als sie sich wieder beruhigt hatte, wurde Morayma sehr ernst.
    »Die Sejidah Alscha weiß, dass du hier bist, kleine Schwester«, sagte sie leise. Layla war versucht zu antworten, auch sie wüsste, dass Alscha hier sei, doch sie hütete ihre Zunge. Morayma war eine Unschuldige. Also versicherte Layla ihr, sie würde der Sejidah ihre Aufwartung machen. Bald danach ging Muhammads erste Gemahlin, und Layla blieb mit dem Gedanken an Alscha zurück.
    Sie versuchte, an etwas anderes zu denken und endete bei al Zaghal, der hier mit ihrer Mutter Muhammads Tod geplant hatte. Schließlich ließ sie die Räume mit ihren Erinnerungen zurück und wanderte ziellos durch die Alhambra, was auch nicht viel besser war, denn hinter jeder sorgfältig verzierten Säule schienen sie zwei Kinder zu erwarten, die immer zusammen und niemals allein waren.
    Der Saal der Botschafter war leer, wie schon einmal, und Layla stand vor dem Bogen des mittleren Alkovens an der Nordseite und las halblaut, was dort seit Hunderten von Jahren geschrieben stand: »Sprich: Ich suche Zuflucht beim Herrn des Morgengrauens, vor dem Übel dessen, was er geschaffen hat, vor dem Übel der Nacht, wenn sie naht, vor dem Übel der Zauberinnen, die auf Knoten blasen…«
    »Du glaubst es noch immer nicht, Layla«, sagte Jusuf.
    Seltsamerweise fand sie seine Gegenwart tröstlich; er war zumindest keine Erinnerung.
    »Würdest du weggehen, wenn ich es glaubte?«, fragte sie eher neugierig als boshaft. Er lächelte.
    »Möchtest du, dass ich weggehe?«
    In dem dämmrigen Licht schienen sich Staubkörner wie ein goldener Mantel um ihn zu legen und wieder aufzuwirbeln.
    »Nein«, sagte Layla widerwillig, und damit er diesen Sieg nicht ausnutzte, fuhr sie rasch fort: »Weil ich deine Hilfe brauche, Ifrit. Ich weiß nicht, wie ich Alscha begegnen, was ich mit ihr machen soll. Ich kann nicht einfach so tun, als…«
    Er zog die Augenbrauen hoch. »Aber Doña Lucia, wir waren uns doch längst einig, was mit Alscha geschehen soll. Sie wird erleben, wie ihr Sohn jede Hoffnung auf den Thron verliert, wie er in einem fremden Land stirbt, allein. War das nicht dein Wunsch?«
    Sie fand es plötzlich schwer zu sprechen. »Nicht mehr. Ich meine, nicht mehr für Muhammad.«
    Jusuf schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Du enttäuschst mich, mein Kind. Ich dachte, deine verwandtschaftliche Rührseligkeit wären wir mit al Zaghal losgeworden. Wie auch immer - ein einmal ausgesprochener Wunsch kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.«
    Kälte umgab sie, Kälte überall. »Was«, stieß Layla hervor,
    »meinst du mit - losgeworden?«
    »Es war Zeit für al Zaghal«, antwortete er ruhig. »Zeit für den Tod, den er sich wünschte. Außerdem haben die Christen und ich das

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