Mondlaub
tatsächlich mehr zu verlieren gibt als das Leben.«
Musa ben Abi Ghassan war mittlerweile zum Ratsmitglied und zum General aufgestiegen; auf al Zaghals Geheiß war er damals in Granada geblieben, als al Zaghal Malaga zu Hilfe eilen wollte, und hatte diesem regelmäßig Bericht von Muhammads Tun und Lassen erstattet. Diese Art von Spionage lag Musa eigentlich nicht, doch er hatte sich al Zaghals Argumenten gebeugt, dass sie ja im Grunde dasselbe Ziel verfolgten und in einer solchen Lage alles zum Überleben von Granada gerechtfertigt wä re.
Dennoch fraß es an ihm - in Malaga und Baza setzten andere ihr Leben aufs Spiel, während er, Musa ben Abi Ghassan, Abkömmling einer langen Reihe von Kriegern, im Schatten der Alhambra und von Muhammads Demütigung vor den Christen friedlich sein Leben fristete. Daher war er entschlossen, diese Schmach endlich wettzumachen, und ergriff im Rat, den Muhammad al Zaghals Tod wegen zusammengerufen hatte, so bald wie möglich das Wort.
»In den letzten Jahren«, sagte er und vermied es, Muhammad anzusehen, »sind wir in der Hauptstadt wenig mehr als bezahlte - bestochene - Diener der Christen gewesen. Jetzt müssen wir uns entscheiden, ob das alles ist, was wir sein wollen. Es stimmt, in den Händen der Christen liegt das gesamte Reich bis auf uns. Aber unsere Brüder haben uns Hilfe versprochen…«
Das rief überraschtes Gemurmel unter den Ratsmitgliedern hervor; Muhammad gebot Schweigen und bat Musa, den er nicht aus den Augen ließ, fortzufahren.
»… und außerdem ist diese unsere Hauptstadt viel größer als Malaga oder Baza, viel stärker befestigt als die Städte, welche die Christen bisher belagert haben. Ich meine, wir sollten den christlichen Herrschern ausrichten lassen, wenn sie Granada wollen, dann müssen sie es sich holen.«
»Wohl gesprochen, Musa«, sagte Muhammad rasch, bevor ein anderer reagieren konnte, »doch hast du auch bedacht, wie groß die christliche Armee ist? Dass wir keinen Hafen mehr haben, der uns versorgt? Und dass mir die christlichen Könige geschworen haben, wir würden unter ihrer Herrschaft so frei bleiben wie vorher?«
Eines der älteren Ratsmitglieder, ein Mann, der schon Abul Hassan Ali in seinen jüngeren Tagen gedient hatte, erhob sich.
»Geht auf die Straßen, Sejid«, sagte er hart, »und fragt Euer Volk, was das Wort der christlichen Könige wert ist. Fragt sie, ob sie sich ihnen und ihren götzendienerischen Priestern unterwerfen wollen.«
Schnell griff Musa die Zustimmung auf, die er für sich spürte, und wandelte sie in einen Dolch. »Genau darauf kommt es an.
Alles andere ist Nebensache. Unsere Brüder aus Fez werden unsere Häfen für uns zurückerobern, im ganzen Reich werden sich die Menschen gegen die Christen erheben, und bis dahin werden wir hier in Granada doch wohl durchhalten können. Allah ist mit uns, und es gibt keinen Sieg außer Allah!«
»Allah war auch mit al Zaghal«, erwiderte Muhammad tonlos.
Ein weiteres Ratsmitglied wandte sich aufbrausend gegen ihn.
»Ja, aber nicht Granada! Granada war gespalten!«
Muhammad holte tief Luft. »Es war mein Reich und mein Recht…«, begann er, als Musa das bisher Undenkbare tat und einen Emir in aller Öffentlichkeit einfach unterbrach.
»Es gibt kein Recht mehr, wenn die Christen erst hier sind! Ich frage Euch alle: Wollt Ihr frei sein - und frei sterben, wenn nö tig - oder Sklaven der Ungläubigen?«
Der Tumult, der daraufhin im Rat herrschte, strafte das Alter der meisten Mitglieder Lügen. Muhammad schwieg. Als alle anderen sich schließlich beruhigt hatten, sagte er mit gepresster Stimme: »Wie Ihr wollt. Vielleicht habt Ihr Recht. Ich werde Granada verteidigen. Aber wenn Fernandos Armee erst hier ist, wenn die Belagerung beginnt, wenn das Leben nicht mehr so bequem für Euch alle ist, dann will ich niemanden um Kapitulation betteln hören. Niemanden, versteht Ihr?«
Layla hatte den größten Teil des Tages damit verbracht, die Gemächer ihrer Mutter mit Hilfe der Sklavin, deren Name Nada war, wieder bewohnbar zu machen. An sich schickte sich das nicht; sie hätte Nada die Arbeit zur Gänze überlassen müssen.
Doch inzwischen hatte sie zu lange für sich selbst gesorgt, als untätig dabeistehen zu können.
Mittlerweile waren auch ihre Habseligkeiten aus Guadix eingetroffen; einige der Frauen, die sie während der Reise kennen gelernt hatte, fanden den Weg zu ihr, und Layla bot ihnen an, sie entweder hier oder in der Stadt unterzubringen. Nada machte
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