Mondlaub
mischte, bemerkte sie, dass sie weinte.
V
Alhambra
Eine starke Truppe legte ich in eine Festung, die Soldaten vor langer Zeit zerstörten.
Wir schliefen dort und rund um die Burg, und unter uns ihre alten Herren.
Da dachte ich mir: Wo sind die Scharen und die Völker, die früher hier wohnten
Wo die Erbauer und Zerstörer,
wo die Fürsten und die Herren, wo die Schwachen und die Knechte? Wo sind die Eltern und die Kinderlosen, wo die Väter und die Söhne,
die Trauernden und die Brautleute?
Sie waren alle Nachbarn auf der Erde,
und heute wohnen sie in ihrem Schoß.
Wenn sie nun ihre Köpfe heben und herauskommen -
unser Leben und unser Reichtum fiele ihnen zur Beute.
Fürwahr, meine Seele, fürwahr,
morgen werde ich bei ihnen sein -
und diese Scharen mit mir.
Samuel ha Levi Ibn Nagralla
Der Marquis von Cadiz ließ den Tross seinem Wort getreu gehen, obwohl einige seiner Männer, im sicheren Vertrauen, dass niemand von den Mauren gut genug Kastilisch verstand, sich dagegen aussprachen. Don Rodrigo schüttelte abwehrend den Kopf.
»Wir haben den Befehl des Königs ausgeführt«, sagte er, »und dabei bleibt es. El Chico ist fest in unserer Hand, also stellen die Mauren keine Gefahr mehr dar. Es gibt niemanden mehr, der sie führen könnte.«
Später kam Layla der Gedanke, was wohl geschehen wäre, wenn er sie erkannt hätte; doch sie war für ihn nur eine weitere Maurin, die mit den anderen in die Totenklage um Abu Abdallah Muhammad al Zaghal mit einstimmte, und Juan befand sich, entgegen ihrer Befürchtung, nicht bei seinem Vater.
Also zog der Tross aus Guadix weiter nach Granada; es gab sonst keinen anderen Ort, wohin sie sich hätten wenden können.
Sie kamen kurz nach Sonnenuntergang dort an; Musa ben Abi Ghassan wartete mit einem kleinen Trupp schon unruhig vor den Stadttoren. Er sah al Zaghals Leiche auf der Bahre, die in aller Eile verfertigt worden war, und stellte keine Fragen.
Layla hatte sich oft ihre Rückkehr in die Alhambra vorgestellt, hatte befürchtet, dass die Erinnerung an Tariq zu schmerzhaft sein würde, doch tatsächlich spürte sie nichts, weder Freude noch Schmerz, noch nicht einmal Erleichterung. Während al Zaghals Gefolge sich an der großen Moschee vorbei auf den roten Hügel zubewegte und die Totenklagen neu begannen, als diejenigen Stadtbewohner, die noch auf der Straße waren, al Zaghal erkannten, fühlte sie sich nur unendlich müde und wünschte sich, schlafen zu können.
Muhammad war inzwischen von Musa ben Abi Ghassan benachrichtigt worden und erwartete den Trupp in dem kleinen Eingangshof der Alhambra. Er trat vor die Leiche und betrachtete sie stumm. Dann sagte er: »Und diejenigen, die in Allahs Weg getötet werden, nimmer leitet er ihre Werke irre. Er wird sie leiten und ihr Herz in Frieden bringen. So steht es geschrieben. Ehre und Frieden für Euch, Onkel.«
Als er sich von al Zaghal abwandte, fiel sein Blick auf seine Schwester und er zuckte zusammen. »Layla?«, fragte er ungläubig. »Was tust du hier?« Ihre Erwiderung fiel schärfer aus, als sie beabsichtigt hatte, aber Layla war müde und war sie alle leid.
»Ich begleite Tote. Das ist meine Aufgabe in der Alhambra.«
Er fing sich wieder und ließ das Mädchen von jemandem in die Wohnbereiche bringen. Layla durchquerte den goldenen Hof und den Myrtenhof, ohne etwas Vertrautes an den prächtigen und in perfekter Symmetrie gestalteten Toren wahrzunehmen, und fand sich schließlich allein in einem Zimmer wieder, das ihr irgendwie bekannt vorkam. Sie warf sich auf das Bett und schlief sofort ein.
Als sie am frühen Morgen erwachte, etwa drei Stunden nach Mitternacht, war es noch sehr dunkel. Von ihrer lähmenden Müdigkeit war nichts mehr geblieben. Sie schaute sich um. Der fahle Mondschein, der durch das Fenster fiel, tauchte alles in ein unwirkliches Licht. Es roch schwach nach Zimt und Jasmin, wie überall in den Wohnbereichen der Alhambra, und wenn sie sich konzentrierte, konnte sie den Duft der Granatapfelblüte wahrnehmen, die der Stadt und dem gesamten Emirat ihren Namen gegeben hatte. Layla stand auf und ging zu dem kleinen Tisch hinüber, der in der Mitte des Raumes stand, fuhr mit den Fingern über das kunstvoll geschnitzte Holz. Es war voller Staub. Ihr wurde klar, wo sie sich befand - das war das Schlafgemach ihrer Mutter gewesen. Als kleines Kind war sie oft genug an diesen Tisch gestoßen, wenn Tariq und sie sich gegenseitig jagten. Sie klammerte sich an der Tischkante fest.
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