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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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waren, den strikten Befehl erteilt hatten, sich unter keinen Umständen auf Einzelkämpfe einzulassen, und ihre Soldaten hielten sich daran.
    Sie beschränkten sich auf die Verteidigung.
    Die Stadt Granada wie auch die Alhambra glichen inzwischen einem Bienenkorb, den man in der Nähe ausgesetzt hatte - die Bienen, die es wagten, sich aus dem schützenden Dunkel des Korbes zu entfernen, verglühten in der Sonne, und die anderen fanden kaum mehr Raum, um zu atmen.
    Aus dem alten Stadtteil, dem Albaicin, kroch der Gestank der Armut und des Todes bis zum roten Hügel hinauf, bis Layla es nicht mehr ertragen konnte. Alles war besser, als inmitten von so viel Elend zwischen Gärten und Springbrunnen untätig zu warten, also entschloss sie sich, etwas dagegen zu tun.
    Es begann, als eine der Frauen aus Guadix, die bei Verwandten in Granada untergekommen war, sie besuchte und um Lebensmittel für sich und ihre Familie bat. Dabei erzählte sie auch von der erstickenden Enge, von dem Mangel an Wasser, dem Schmutz, in dem einer ihrer kleinen Neffen bereits gestorben war, und von den kranken Kindern, die sie pflegte.
    Layla wollte es nicht mehr hören, daher sagte sie kurz entschlossen: »Bring sie her.«
    Die Frau war verblüfft. »Aber… hierher? In die Alhambra?«
    Eine Idee entwickelte sich in Layla, schlug Wurzeln und trieb rasch Früchte. »Ja«, entgegnete sie. »Und alle anderen kranken Kinder, die du kennst. Wir haben hier noch genug Nahrung und Ärzte.«
    Wie weit sie sich in Bezug auf das Ausmaß des Elends verschätzt hatte, bewies der Strom, der nun bald tatsächlich eintraf und überhaupt kein Ende mehr nahm. Möglicherweise wäre ihr Entschluss ins Wanken geraten, wenn sich nicht Alscha, die durch die Dienerschaft davon erfahren hatte, diesen Moment ausgesucht hätte, um ihr wieder zu begegnen. Sie kam in Laylas Gemächer gestürmt, die eben in ein Hospital umgewandelt wurden.
    »Was soll das bedeuten?«, fragte sie erzürnt, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Die heiligen Räume der Alhambra werden durch Bettler und Abschaum entweiht! «
    Nach ihrer Miene zu schließen, zählte sie die Tochter ihrer Rivalin ebenfalls zum Abschaum; Layla hätte ihr gern etwas über Entweihung durch Mord gesagt, doch der Säugling, den sie gerade hielt, fing an zu brüllen, und das erinnerte sie daran, dass es Wichtigeres gab, als mit Alscha zu streiten. Also ignorierte sie den Schrecken ihrer Kindheit einfach, etwas, was Alscha al Hurra in ihrem Leben noch nicht geschehen war. Layla bemerkte noch nicht einmal, wann sie ging.
    Aber später kam es Layla in den Sinn, dass vielleicht nicht ihre Gegenwart, aber doch die der kranken Kinder von Muhammads Erlaubnis abhing, und dass Alscha wahrscheinlich gerade dabei war, deren Hinauswurf vorzubereiten. Daher machte sie sich auf den Weg zu Muhammad; sie kam nicht weit, denn er ging ihr bereits entgegen.
    Angesichts der notdürftig zurechtgemachten Lager, die sich mittlerweile bis weit in die Gänge erstreckten, zeigte er ein einigermaßen fassungsloses Gesicht.
    »Muhammad«, sagte Layla beschwörend, »in der Alhambra ist so viel Platz, und das sind doch nur Kinder, halb verhungerte Kinder, die unten in der Stadt der Belagerung wegen sterben würden, ganz bestimmt!«
    »Ja, aber…«
    »Du bist schließlich für sie verantwortlich«, sagte sie mit einem Anflug ihrer gewohnten Schärfe, »du bist der Fürst.«
    Muhammad warf einen Blick auf den Hof, wo sich weitere Mütter mit ihren Kindern drängten.
    »Wenn du mich gewähren lässt, könnten wir Leben retten, statt sie zu beenden«, schloss sie verzweifelt. Sie hatte dabei an den Krieg, nicht an Tariq gedacht, aber er bezog ihre Worte auf den Tod ihres Zwillingsbruders, das sah sie seiner sich wandelnden Miene an.
    »Also gut«, sagte er abrupt, »die, die bis jetzt gekommen sind.
    Mehr nicht. Auch die Alhambra hat nur begrenzte Vorräte. Ich werde dir unsere Ärzte schicken.«
    Damit wandte er sich ab und verschwand. Um die Wahrheit zu sagen, war Layla ein wenig erleichtert über seine Einschränkung, denn der Andrang machte ihr allmählich selbst Angst.
    Sie fand bald heraus, dass ihre Tage mit Suleiman nichts gegen Dutzende kranker Kinder in einer belagerten Stadt waren. Es hatte sehr wenig mit Edelmut und sehr viel mehr mit Folter auf dem Rad zu tun - jedenfalls fühlte sie sich so in den wenigen Stunden, in denen sie zum Schlafen kam. Zwei von den Kindern starben in den ersten Tagen, und ihnen dabei zuzusehen, war

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