Mondlaub
der Emir.«
Sie hätte freundlicher zu ihm sein können, aber im Moment dachte Layla nur an die vielen Toten, die dieser Krieg schon gekostet hatte, nicht zuletzt dank Muhammad und seiner ewig schwankenden Haltung. Und wenn er schon immer vom Sieg der Christen überzeugt gewesen war, warum, um alles in der Welt, hatte er dann an dieser Überzeugung nicht festhalten können? Sie dachte an die Kinder, die verhungerten, weil er sich am Ende entschieden hatte, doch noch den Helden zu spielen.
Dass er damals den Mord an Tariq nicht verhindert hatte, war kein Zufall gewesen. So war Muhammad: wohlmeinend, aber unfähig, wirklich etwas zu tun, ewig zwischen zwei Entscheidungen gefangen.
»Wenn ich eine offizielle Gesandtschaft losschickte«, sagte Muhammad sachlich, »könnte es sein, dass die Bürger vor Wut und Enttäuschung, dass all ihre Leiden umsonst waren, den Palast stürmen. Und dann haben wir ein doppeltes Blutbad.«
Layla dachte darüber nach. »Nun«, erwiderte sie endlich, »ich möchte wetten, dass es inzwischen mehrere Überläufer gibt, die sich nachts heimlich aus der Stadt und zu den Christen stehlen, um von ihnen Essen zu bekommen. Warum lässt du nicht einen Vertrauten mit einer Geheimbotschaft sich als Überläufer ausgeben?«
Er schüttelte den Kopf. »Weißt du, was aus solchen Überläufern wird? Die christlichen Soldaten schicken sie wieder zurück, sagen ihnen, dass vor der Kapitulation keiner von uns auch nur eine Brotkrume erhalten wird, und wenn das keinen Eindruck macht, wenn sie versuchen, sich trotzdem ins Lager zu drängen, dann werden sie getötet. So einfach ist das«, schloss er bitter,
»bei den christlichen Königen. Und einem meiner Leute, der nachts kommt, würde es nicht anders ergehen. Sie würden ihn für einen weiteren Überläufer halten, der sich Nahrung erschwindeln will.«
Sie schwiegen beide und lauschten dem Gesang eines Nachtvogels, ansteigend und abfallend wie die Kaskaden der allgegenwärtigen Springbrunnen. Layla wusste nicht, warum er ihr das alles erzählte, es sei denn, er brauchte, wie al Zaghal, einfach einen Zuhörer, der auf eine seltsame Weise an ihn gebunden war. Alschas Meinung kannte jeder in Granada (»lieber tot als entthront«), und Morayma war zu zart, um sie mit dieser Bürde zu belasten. Ganz zu schweigen von den Ratsmitgliedern.
Unvermittelt kam es ihr in den Sinn, dass Muhammad in gewisser Weise der einsamste Mensch war, den sie kannte. Seit sie die Kinder pflegte, hatte sie meistens nur daran gedacht, sie über den jeweils nächsten Tag zu bringen, und möglichst wenig Gedanken an das unvermeidliche Ende verschwendet. Doch hier, weitab von allem Lärm, in der köstlichen Stille des Gartens, rückte dieses Ende wieder näher.
»Ich könnte gehen«, hörte Layla sich sagen. Muhammad blieb stehen. »Wie bitte?«
»Ich könnte gehen und deine Botschaft überbringen. Mich würden die Soldaten durchlassen, ich weiß es.«
»Das ist Wahnsinn«, sagte Muhammad aufgebracht. »Du bist ein Mädchen…«
»Ich bin kein Kind mehr, Muhammad«, unterbrach sie. »Ich bin neunzehn Jahre alt.«
Als sie das sagte, schien es ihr kaum fassbar zu sein. Neunzehn, wirklich neunzehn schon? Aber erst gestern war sie noch ein Kind in diesem Garten gewesen.
»Auf jeden Fall bist du eine schutzlose Frau, und ich werde nie erlauben…«
Ihr Gelächter klirrte in der Luft wie Eis. »Schutzlos?« Es war so absurd und er wusste es nicht. Doch sie konnte es ihm nicht erklären, konnte ihm nicht sagen, dass es ein Wesen gab, das entschieden etwas dagegen hatte, wenn irgendjemand anderes sie umbrachte. Also presste sie den Handrücken gegen ihren Mund, um sich wieder zu beruhigen.
»Entschuldige, Muhammad«, ächzte Layla, als sie wieder zu Atem kam, »aber es ist nur… die meisten Frauen haben in meinem Alter ihr Leben schon längst aufs Spiel gesetzt und tun es immer wieder, bei jeder Geburt. Dagegen ist es fast harmlos, in ein Lager mit christlichen Soldaten zu wandern. Ich spreche ihre Sprache. Ich kenne sogar ein paar von ihnen. Wenn ich Pech habe, treffe ich den alten… meinen Großvater. Wirklich, es ist ganz harmlos.«
Dass sie außerdem recht gut mit einem Dolch umgehen konnte, verschwieg sie ihm.
»Auf gar keinen Fall«, sagte Muhammad.
Am Ende ließ er sie doch gehen, was, wie Layla sich boshaft eingestand, zum Teil sicher daran lag, dass sie lange genug auf ihn eingeredet hatte. Muhammad der Schwankende konnte hin und wieder durch schiere Beharrlichkeit
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