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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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überzeugt werden.
    Ein paar Nächte später verließ sie durch einen der geheimen Ausgänge, die der Erbauer für solche Fälle vorgesehen haben musste, die rote Festung. Obwohl es ein weiter Marsch war, konnte man das christliche Lager und die neue Stadt noch zu Fuß erreichen. Als Layla sich beiden näherte und mehr und mehr Belagerungstürme, Katapulte und Kanonen erkannte, dachte sie: Sie haben alle Waffen, die sie brauchen - warum setzen sie sie nicht ein?
    Die Antwort war einfach. Sie hatten es nicht mehr nötig. Sie gebrauchten ihre schlichteste, tödlichste Waffe - den Hunger.
    Vor den Wachen drängten sich bereits mehrere Menschen aus Granada, die, wie Muhammad vorhergesagt hatte, zurückgeschickt wurden. Zum Glück gingen sie wirklich, denn Layla wusste nicht, was sie hätte tun sollen, wenn man die Flüchtlinge getötet hätte. Als sie außer Hörweite waren, kam sie näher.
    »He, ich hab’s euch doch schon gesagt, ihr Heiden«, knurrte einer der Soldaten. »Hier kein Essen - nicht, bis Belagerung vorbei, verstehst du?«
    »Ich bin nicht des Essens wegen gekommen«, erwiderte Layla in ihrem besten Hofkastilisch. »Ich habe eine Botschaft für einen Eurer Hauptleute.«
    Wenn sie gesagt hätte, dass sie zu den Monarchen selbst wollte, hatte man sie sofort davongejagt. Auch so versprach sie sich nicht viel Erfolg. Immerhin ließ ihnen ihre Antwort das Kinn herunterfallen.
    »Wo hast du gelernt, wie ein zivilisierter Mensch zu reden, Kleine?«, fragte ein anderer Soldat.
    Layla richtete sich noch gerader auf und versuchte, die Arroganz des alten Mannes nachzuahmen. »Ich bin Doña Lucia de Solis«, sagte sie so hochmütig wie möglich, »durch widrige Umstände nach Granada verschlagen, und ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr mich endlich einlassen würdet.«
    Der Bann war gebrochen. Sie lachten schallend. »Das ist gut, das ist wirklich gut«, sagte der erste Soldat und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Die beste Geschichte, die ich je gehört habe.«
    Unruhig biss sie sich auf die Lippen und entschloss sich, alles auf eine Karte zu setzen. »Holt Don Juan Ponce de Leon«, gab sie im selben Tonfall zurück, »und er wird Euch bestätigen, wer ich bin. Falls Ihr allerdings zu lange braucht, um Euch dafür zu entscheiden, ist es wahrscheinlicher, dass er Euch bestrafen lässt, denn meine Botschaft ist äußerst wichtig.«
    Sie zögerten. Layla witterte ihren Vorteil. »Was riskiert Ihr?«, drängte sie. »Eine schöne Belohnung, wenn ich die Wahrheit spreche, und wenn ich lüge, könntet Ihr mich immer noch davonjagen.« Sie berieten sich untereinander. »Also gut«, sagte der erste Soldat schließlich. »Stimmt schon, wir riskieren nichts. Ich hole den Hauptmann.«
    Layla war weit davon entfernt, erleichtert zu sein. Es war ihr Glück, dass Juan noch am Leben war und sich bei der Armee befand; doch angesichts der Art und Weise, wie sie sich das letzte Mal getrennt hatten, konnte es sein, dass er sie überhaupt nicht erkennen wollte, geschweige denn, ihr eine Audienz verschaffen würde. Und was dann?
    Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis der Soldat zurückkam. Bei ihm befand sich ein Mann, den sie wegen seines Bartes und der breiteren Schultern zunächst selbst nicht erkannte.
    »Das ist sie, Don Juan«, sagte der Soldat. Juan schaute sie an und zuckte kurz zusammen, ließ aber ansonsten keine Reaktion erkennen.
    »Ja«, sagte er. »Es handelt sich wirklich um Doña Lucia. Lasst sie durch.«

    Schweigend bot er ihr seinen Arm, als sie das Lager betraten.
    Layla war verlegen, und das hasste sie, also plapperte sie los und stürzte sich in Nebensächlichkeiten.
    »Ihr seid tatsächlich noch gewachsen, Juan, wisst Ihr das? Und mit dem Bart seht Ihr ein wenig aus wie Euer Vater. Aber ich hoffe doch, Ihr wollt dem Helden von Alhama seinen Ruhm nicht streitig machen…«
    »Lucia«, sagte er, »Lucia.«
    Und obwohl sie nach wie vor der Meinung war, dass sie mit ihrer Flucht im Recht gewesen war, sah sie es zum ersten Mal auch von seiner Seite und etwas wie Scham streifte sie.
    »Ich musste weglaufen, Juan«, sagte Layla aufrichtig. »Ich konnte Euch nicht heiraten. Ihr wärt todunglücklich geworden, Ihr seht es ja jetzt selbst. Ich bin überhaupt nicht zum Heiraten geschaffen.«
    Seine braunen Augen schienen im Schein der Fackeln, die überall brannten, schwarz zu werden. »Sprechen wir nicht davon«, sagte er abrupt, und daran erkannte sie, wie sehr er sich verändert hatte. Er war kein Junge mehr. »Warum

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