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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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gerüstet. Aber wenn wir das tun, könnten wir sie im nächsten Jahr am ausgestreckten Arm verhungern lassen.«
    Schweigen herrschte; bis auf Fernando schauten die Männer ihre Königin voll ungeheuchelter Ehrfurcht an. Ein Feldzug in der Art, wie sie ihn vorgeschlagen hatte, würde nicht lange dauern und den spanischen Ländern die Möglichkeit geben, sich in diesem Jahr zu erholen. Und auch im nächsten Jahr würde es keine lange Belagerung geben - Granada, dachte der Marquis von Cadiz und stellte sich bereits den Einzug in die Stadt vor, fiele ihnen in den Schoß wie ein reifer Apfel.
    »Nun«, sagte der König, und wenn er noch Ärger darüber verspürte, von seiner Gemahlin überstimmt worden zu sein, dann merkte man es seiner Stimme nicht an, »damit wäre wohl alles geklärt.«

    Als Layla Alscha al Hurra begegnete, war sie bereit. In dem weichen Licht, das die Säle der Alhambra in ihrer ovalen Struktur wie Honigwaben wirken ließ, erkannte sie, dass Alscha, die sich von ihren Frauen begleiten ließ, das Privileg einer älteren Sejidah in Anspruch genommen hatte und keinen Schleier trug.
    Die Nachfahrin des Propheten war kaum gealtert; sie wirkte immer noch stark und unerbittlich. Sie blieb stehen und wartete darauf, dass Layla sich verbeugte. Alscha wartete vergeblich; stattdessen musterte die Tochter ihrer Feindin sie ebenso lang und gründlich, wie sie ihrerseits das Mädchen betrachtete. Als Alscha als Erste den Blickwechsel unterbrach und das Wort ergriff, empfand Layla eine gewisse Befriedigung.
    »Du bist erwachsen geworden, wie ich sehe«, sagte Alscha kalt.
    »Es ist bedauerlich, dass du noch nicht verheiratet bist, doch wem kann man schon ein mageres Halbblut zumuten? Du hast Glück, dass mein Sohn gütig genug war, dich hier aufzunehmen.«
    »Längst nicht so viel Glück wie Ihr«, erwiderte Layla süß,
    »denn wem kann man schon eine zänkische alte Frau zumuten?
    Nur der arme Muhammad ist verpflichtet, Euch bis ans Ende seines Lebens zu ertragen.«
    Alschas Frauen holten empört Luft; sie gebot ihnen Schweigen.
    Doch sie schien aus dem Gleichgewicht gekommen zu sein, denn sie antwortete nicht sofort. Mörderin, dachte Layla und lächelte sie an.

    »Leider«, sagte Alscha schließlich und spie jedes einzelne Wort aus, »bin ich um meines Sohnes willen gezwungen, deine Gegenwart in der Alhambra zu dulden. Er glaubt unverständlicherweise, wir würden dir etwas schulden. Wäre dem nicht so, dann würde ich dafür sorgen, dass man dich fortjagt wie deine Mutter - du schlecht erzogene Tochter einer christlichen Hexe!«
    Sie hatte es ausgesprochen, und Layla kam ein blendender Einfall. Warum nicht? Wenn sie einen Geist beschwören konnte, dann konnte sie noch mehr. Zumindest bestand die Möglichkeit, Alscha an eine solche Fähigkeit glauben zu lassen. Sie streckte ihren linken Arm aus und rief so tief und unheilschwanger wie möglich: »Ja, meine Mutter war eine Hexe, und sie hat mir ihre Kräfte vererbt. Ich verfluche Euch, Alscha al Hurra, als die Verbrecherin, die Ihr seid, ich verfluche Euch bei Iblis und allen Dschinn! Mögen Eure Träume so qualvoll sein wie Eure Tage, mögen Eure Untaten Euch verfolgen, bis die Menschen Euch meiden wie eine Aussätzige. Ihr werdet um den Tod flehen, doch Allah wird Euch nicht erhören, bis Ihr alles verloren habt, was Euch etwas bedeutet. So verfluche ich Euch!«
    Leider stand ihr kein so wirkungsvoller Abgang wie Jusuf zur Verfügung, also ließ Layla ihre Hand wieder sinken und ging geradewegs an der erstarrten Alscha und ihren Frauen vorbei in den nächsten Hof, bemüht, weiterhin drohend und hexenhaft zu wirken. Sowie sie außer Sichtweite war, begann sie zur Verblüffung einiger Leute, mit denen sie zusammenstieß, zu rennen. Sie musste ihren Gefühlen irgendwie Luft machen, und sie durfte auf keinen Fall in Gelächter ausbrechen, obwohl ihr danach war. Alscha saß in ihrer eigenen Falle. Selbst wenn sie nicht an Flüche und Hexen glaubte - sie hatte Laylas Mutter jahrelang als Hexe bezeichnet und sie konnte das nicht widerrufen. Von nun an würde jeder, der von dem Fluch hörte - und bei der Menge an Zeugen, die es gegeben hatte, sprach sich die Angelegenheit sicher schnell herum -, in Alschas Gegenwart ständig auf die ersten Anzeichen der Wirkung warten. Und allein das würde sie langsam in den Wahnsinn treiben, wenn Layla Glück hatte.
    Während der nächsten Monate begegnete sie Alscha nie wieder.
    Aber es gab andere Dinge als Flüche, die die Stadt

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