Mondlaub
nötigen Formeln; dann war die Übergabe der Stadt vollzogen, und die beiden Züge trennten sich. Die Prozession zog weiter nach Granada, und Muhammad ritt mit Suleiman zu seinem Gefolge. Er bedeutete seinem Sohn abzusteigen, dann schwang er sich selbst aus dem Sattel und presste ihn an sich.
Zuerst rührte der Junge sich nicht, dann erwiderte er die Umarmung vorsichtig. In die Reihen der Granader geriet Bewegung; Morayma stürzte auf ihn zu. Vor ihm hielt sie inne.
»Mein Sohn, begrüße deine Mutter«, sagte Muhammad mit mühsam beherrschter Stimme. Die Art, in der Suleiman Morayma umarmte, war reichlich hölzern, und Layla biss sich auf die Unterlippe. Tränen liefen Morayma über das Gesicht, als sie fragte: »Erkennst du mich nicht, Suleiman, mein Kleiner?«
Der Junge, der sie mittlerweile überragte, starrte verlegen zu Boden. »Nein«, sagte er zögernd. Dann hob er den Blick und schaute auf die anderen Wartenden, als ob er jemanden suchte.
Mit einem Mal erhellte sich sein Gesicht, und strahlend ging er auf das Mädchen zu, das sein Exil geteilt hatte. »Layla!«
Sie konnte nicht anders, sie musste absteigen und ihn umarmen.
Über seine Schulter hinweg sah sie Muhammad und Morayma gequält und Alscha wie versteinert zuschauen, und sie löste sich wieder von ihm.
Als Muhammads Zug sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, bestand Suleiman darauf, neben Layla zu reiten, und zeigte sich darin so störrisch, dass sich in ihre Rührung durchaus Spuren der alten Ungeduld ihm gegenüber mischten.
»Du verletzt deine Eltern sehr«, sagte sie tadelnd auf kastilisch zu ihm, »sie haben so lange auf dich gewartet.«
»Es tut mir Leid, wirklich, aber weißt du, Layla, ich erinnere mich wirklich nicht mehr an sie - an überhaupt niemanden hier, außer dir. Ich… ich habe Angst, mit ihnen zu sprechen«, bekannte er. »Ich habe so lange kein Arabisch mehr geredet. Vielleicht habe ich einen Akzent, vielleicht haben sie sich mich ganz anders vorgestellt…«
Sie verstand ihn, aber sie konnte Moraymas Augen nicht vergessen. »Schwimmen kann man nur mit einem Sprung ins kalte Wasser lernen«, sagte sie. »Sie sind überglücklich, dass du wieder bei ihnen bist.«
Er kniff den Mund auf eine sehr vertraute Art zusammen. »Aber ich will nicht!«
Sie fand ebenso schnell zu ihrem Befehlston zurück. »Aber du wirst!«
Wider Erwarten grinste er plötzlich. »Layla«, sagte er glücklich,
»du hast dich überhaupt nicht verändert.«
Schließlich ließ er sich überreden, ab der nächsten Rast neben seiner Mutter zu reiten, und Layla und er tauschten einigerma ßen friedfertig in einem kastilisch-arabischen Sprachgemisch die Neuigkeiten der letzten Jahre aus.
Als sie etwa zwei Meilen zurückgelegt hatten, befahl Muhammad dem Zug anzuhalten. Layla ahnte, weswegen. Von dem Hügel aus, auf dem sie sich befanden, hatte man eine wunderbare Aussicht auf Granada, die letzte, bevor die Berge den Blick versperrten. Wenn sie früher die Alhambra verlassen hatten, um ein paar Wochen in einer der Burgen im Gebirge zu verbringen, damit Abul Hassan Ali besser jagen konnte, hatte auch er immer ein wenig an dieser Stelle verweilt.
Sie drehten sich um, alle. Der Sonnenschein, den die kristallene Winterluft noch zu verstärken schien, ließ die weißen Dächer der Stadt, die Minarette mit ihren Spitzen, die weiten Kuppeln der Moscheen und die Alhambra mit ihren Türmen aufleuchten, als seien sie nur aus Licht geschaffen; die Stadt schmiegte sich an die rote Festung wie Perlen an einen riesigen glühenden Rubin.
»Das ist ein Wunder«, sagte Suleiman ehrfürchtig.
Layla wandte ihre Augen ab und sah dabei zufällig Muhammad.
Er weinte. Nicht laut, nicht stoßweise, wie die meisten Menschen; er schaute nur stumm auf Granada, und Tränen rannen ihm über das Gesicht, glitzerten auf seinem Bart.
Suleiman bemerkte es, wollte etwas sagen, doch Layla legte ihm warnend die Hand auf den Arm. Da schnitt Alschas Stimme in die Stille wie ein Dolch, der unfehlbar die tödliche Stille traf: »Weine nur, mein Sohn«, sagte sie kalt, »weine wie eine Frau um das, was du nicht verteidigen konntest, weil du kein Mann warst!«
Muhammad schwieg, sah sie nicht einmal an, sondern starrte weiterhin auf die Stadt. Aber Layla verpflichtete nichts, sich zurückzuhalten, und sie sprach laut genug, dass jeder sie hören konnte.
»Allah bewahre uns vor Frauen wie Euch, Alscha al Hurra, denen nichts weiter wichtig ist als die Macht, und vor Männern, wie Ihr
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