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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ihrem Haar. »Das ist in Ordnung«, sagte er groß zügig. »Mach dir keine Sorgen. Niemand wird es wagen, die Schwester des Emirs von Granada abzulehnen. Ich mache das schon, ich verheirate dich.«
    Sie waren leider nicht allein, sonst hätte Layla sich dieser Gönnerhaftigkeit wegen auf ihn gestürzt; also musste sie sich damit begnügen, ihn in den Arm zu kneifen. »Wie kommst du darauf, dass du Emir wirst, du kleines Nichts?« In diesem Jahr war sie ein wenig größer als er, und sie machte sich diesen Umstand oft zunutze.
    Tariq wollte sich auf sie stürzen, doch seine Schwester wich ihm aus. Sie rannte los, und einige der Sklaven, die mit der Art Verfolgungsjagd vertraut waren, die sich nun im Saal der Botschafter entwickelte, und damit beschäftigt waren, den Boden zu säubern, warfen den Kindern indignierte Blicke zu. Schließ lich verfing sich Laylas Fuß in einem Teppich; sie stürzte und zog Tariq, der sie eben erreicht hatte, mit sich. Beide landeten prustend auf dem weichen Gewebe.
    »Natürlich werde ich Emir«, keuchte Tariq, »Mutter hat es mir versprochen.«
    »Aber du hast ihr doch nichts von…«
    »Nein«, unterbrach er seine Schwester wütend. »Sie hat es mir gestern gesagt, als ich nicht bei der Hochzeit dabei sein wollte.«
    Layla hatte keine Lust, über die Hochzeit zu sprechen oder dar über, wer Emir werden würde. Also widmete sie sich wieder dem Studium der Wände. Plötzlich fiel ihr etwas auf. Sie legte den Kopf schief, runzelte die Stirn.
    Die Zwillinge waren selbstverständlich noch zu jung, um den Koran zur Gänze zu lesen, aber durch die Gebete und die Zitate, die ihr Lehrer im Unterricht verwendete, erkannten sie mittlerweile bestimmte Suren wieder, ganz abgesehen davon, dass jeder gläubige Moslem oft und gerne Zitate im Munde führte.
    »Tariq«, sagte Layla verwirrt, »das ist die Schutzsure.«
    Er starrte auf die Schriftzeichen. »Und?«
    »Warum steht sie hier?«
    Vor ihnen an der Wand war die Sure zu lesen, die Schutz vor den Mächten der Dunkelheit gewährte, verbunden mit dem Namen des ersten Emirs aus dem Geschlecht der Banu Nasr, Muhammad Ibn al Ahmar.

    »Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Möge Allah unseren Herren Muhammad und sein Gefolge segnen und ihm das Seelenheil gewähren. Sprich: Ich suche Zuflucht beim Herrn des Morgengrauens, vor dem Übel dessen, was er erschaffen, vor dem Übel der Nacht, wenn sie naht, vor dem Übel der Zauberinnen, die auf Knoten blasen, vor dem Übel des Neiders, wenn er neidet.«

    Die Schutzsure wurde gewöhnlich benutzt, um böse Geister fern zu halten, meistens auf nächtlichen Reisen, in Wochenbetten oder bei Krankheiten. Sie stand auch manchmal an Türen.
    Was sie im Herzen der Alhambra zu suchen hatte, konnte sich Layla beim besten Willen nicht erklären. Sie berührte vorsichtig die Schriftzeichen, fuhr die kunstvollen Verschlingungen mit der Hand nach und runzelte die Stirn. Der Stein erschien ihr ungewohnt kalt. Plötzlich schrak sie zusammen. Tariq, der ebenfalls über der Sure gegrübelt hatte, fragte verblüfft: »Was hast du?«
    »Hast du nichts gehört?«
    Sein verwunderter Gesichtsausdruck war ihr Antwort genug.
    Layla, die nicht wollte, dass er sie wegen ihrer Schreckhaftigkeit neckte, meinte ablenkend: »Lass uns Ibn Faisal nach der Sure fragen.« Und sie zog ihn fort. Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, sich noch einmal umzudrehen. Ihr war, als hätte sie wieder das Lachen vernommen, das Lachen aus dem Garten.
    Der ehrwürdige Ibn Faisal war an diesem Tag nicht zu finden.
    Möglicherweise, mutmaßten die Zwillinge, hatte er die Feierlichkeit zu einem Ausflug in die Stadt genutzt. Vielleicht hätten sie ihre Frage rasch vergessen, doch sie brauchten etwas, das sie von der Zurückweisung durch Muhammad ablenkte, und das Geheimnis um die Sure bot sich dazu an.
    Also wurde der gelehrte Ibn Faisal am nächsten Tag von zwei ungeduldigen Kindern überfallen, die ihn mit der Frage bestürmten, warum Muhammad Ibn al Ahmar, der erste Bauherr der Alhambra, es für nötig befunden hatte, die Schutzsure inmitten des Palastes unterzubringen. Man konnte sofort erkennen, dass ihm dieses Thema unangenehm war.

    »Euer Vorfahre war ein großer Krieger und weiser Mann«, äu ßerte er unbehaglich. »Er wird seine Gründe gehabt haben.«
    Layla war enttäuscht. Eine derartige Auskunft hätten sie auch von Fatima bekommen. Oder vielleicht auch nicht. Fatima war eine Klatschbase, die voller Geschichten steckte, und

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