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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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vorbereiten, und Layla schauderte, wenn sie daran dachte, Morayma vor Augen. Moraymas süße Scheu und Nachgiebigkeit hatten angefangen, jedermann außer Muhammad zu langweilen, und sogar Alscha sollte, wenn man den Haremsgerüchten glauben durfte, den Wunsch geäußert haben, ihre Schwiegertochter möge doch nur gelegentlich etwas von dem Geist ihres kriegerischen Vaters Ali al Atar zeigen. Aber Morayma war bestrebt, jedermann alle Wünsche von den Augen abzulesen, ganz besonders Alscha, und das machte es unmöglich, ihr auf Dauer etwas übel zu nehmen. Es machte sie allerdings auch für Layla zum Schreckensbild einer möglichen Zukunft.
    Laylas geheime Heldin war Wallada, die Tochter eines Kalifen, die in Cordoba gelebt und gewirkt hatte. Wallada zählte zu den größten Dichterinnen - und Dichtern - nicht nur von al Andalus, sondern der arabischen Sprache überhaupt. Statt zu heiraten, hatte sie sich ihre Liebhaber ausgesucht, und ihre heftige Affäre mit dem Dichter Ibn Zaydun - eine Beziehung, die sie und nicht er später abbrach - gehörte einschließlich der Gedichte, welche die beiden aneinander gerichtet hatten, zu den populärsten Liebeslegenden. Es war Walladas Wahlspruch gewesen, der Laylas Aufmerksamkeit ursprünglich auf sie gelenkt hatte, als Ibn Faisal ihn zitierte (selbstverständlich nur, um ein Beispiel für Walladas bevorzugtes Versmaß zu geben):

    »Ich bin, weiß Gott, der edlen Dinge fähig und schreite stolz dahin.
    Meinem Liebhaber gebe ich das Recht,
    die Wange mir zu streicheln,
    meinen Kuss gebe ich jedem, den ich will.«

    Wenn es für Wallada möglich gewesen war, so zu leben, dachte Layla, müsste es für sie auch möglich sein. Allerdings rechnete sie nicht damit, je in die Verlegenheit zu kommen, einen Liebhaber wählen zu müssen. Die wundersame Verwandlung in eine Schönheit, die Fatima ihr immer wieder prophezeite, ließ weiterhin auf sich warten, und Layla fand, dass sie noch immer einer verhungerten Katze glich.
    Tariq hatte mehr Glück: Er verlor die Pummeligkeit, die er als kleines Kind gehabt hatte, wenn auch nicht sein so unarabisches Gesicht. Mit zehn würde er an den Übungen der Männer in der Sabika teilnehmen dürfen und einen neuen Lehrer bekommen, der ihm die adab, die umfassende Erziehung eines Moslems, vermitteln würde. Layla gab ihren Empfindungen bei dieser Perspektive keinen Ausdruck, bis die Zwillinge eines Tages auf der Südmauer standen und die Sabika beobachteten. Muhammad war dort und veranstaltete gerade ein Wettrennen mit Raschid. Tariq kniff die Augen zusammen.
    »Er ist wirklich gut«, sagte er widerwillig, »aber ich werde besser sein.«
    Plötzlich war Layla so wütend, dass sie ihn hätte schlagen können. In ein paar Wochen würde der Unterricht für sie vorbei sein, und sie würde den meisten Teil ihrer Zeit in den Frauengemächern verbringen müssen, während er durch die Gegend jagen konnte, solange er wollte. Und alles, woran er dachte, war, dass er Muhammad in irgendwelchen Wettkämpfen besiegen wollte.
    »Viel Spaß dabei«, presste sie hervor und umklammerte mit beiden Händen die Mauer, damit sie ihn nicht ohrfeigte. Tariq musterte seine Schwester verdutzt. Unerklärliche Äußerungen waren bei den Zwillingen selten und verwirrten ihn, wenn sie einmal vorkamen, umso mehr.
    »Was hast du denn?«, fragte er so arglos, dass sich ihre Gereiztheit noch steigerte.
    »Oh, nichts, gar nichts! Nur erwarte bitte bei deinem glorreichen Sieg nicht, dass ich dir dabei zusehe. Hier auf der Mauer ist es kalt, und die Sabika darf ich nicht betreten, wie du weißt. Und erwarte auch kein Glückwunschgeschenk, weil ich dann nämlich nicht mehr in die Stadt darf, um dir eines zu kaufen.«
    »Du bist verrückt«, stellte Tariq fest. »Wir dürfen doch schon jetzt nicht allein in die Stadt. Schick eine Sklavin.«
    »Allah, gib mir Geduld«, murmelte Layla. Tariq grinste.
    »Wieso? Willst du freiwillig auf Moraymas Kind aufpassen?«
    »Nein«, gab seine Zwillingsschwester zurück, »du bist als Säugling schon anstrengend genug.« Aber Layla konnte nicht länger zornig sein; ihre gute Laune war wiederhergestellt.
    »Au ßerdem«, fügte sie hinzu, »glaubst du, Alscha würde mich auch nur in die Nähe ihres kostbaren Enkels lassen?«
    »Eher übergibt sie ihn einer Löwin«, sagte Tariq todernst, und die Zwillinge kicherten.
    Aber die Vorstellung, bald vor dem Ende ihres Lebens, so wie sie es gekannt hatte, zu stehen, ließ Layla nicht mehr los. Ibn Faisals

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