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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nur. Als Alscha ihm die Frauenkleidung in die Hand drückte, zögerte er kurz. Dann zog er Layla aus dem Kreis der Frauen hervor, löste ihren Schleier und blickte ihr in die Augen. »Ich danke dir, Layla«, sagte er so leise, dass nur sie es hören konnte.
    Einen Moment lang erschien er ihr wieder wie der Held aus Fatimas Märchen, der in Granada eingezogen war. »Du hast Tariq doch nicht absichtlich dazu gebracht, auf dem Pferd zu reiten, oder?«, wisperte sie.
    »Das genügt«, unterbrach Alscha scharf. »Jede Sekunde ist kostbar.«
    Muhammad berührte kurz Laylas Wange, dann wandte er sich ab und ging in das kleine Nebenzimmer, um die Kleidung zu wechseln. Er hatte ihre Frage nicht beantwortet.
    Die größte von Alschas Frauen hatte den Befehl, an seiner statt in Muhammads Gemächern zu bleiben, bis sie entdeckt wurde.
    Er selbst war kein Riese, was Alschas Plänen entgegenkam.
    Nach einer Weile verließen Alscha und ihr Gefolge die Räume, und wieder machte die Wache keine Anstalten, sie zu durchsuchen oder aufzuhalten. Die Wachposten, fand Layla, sahen eher gelangweilt drein und wünschten sich wahrscheinlich, an dem Feldzug gegen die Christen teilnehmen zu können; die Inhaftierung des Kronprinzen hielten sie wohl ohnehin für ungerecht und überflüssig.
    Muhammad verließ die Alhambra mit einigen von Alschas Dienerinnen ohne jede Schwierigkeiten, doch Alscha behielt Layla noch eine weitere Stunde lang bei sich, um sicher zu sein, dass ihr das Mädchen nicht in den Rücken fiel. Sie sprachen nicht miteinander. Als man Layla endlich gehen ließ, war es bereits Nacht. Seit dem späten Vormittag hatte sie Alscha nicht mehr verlassen. Nun, da alles vorbei war, fragte sie sich, ob ihre Mutter sie vermisst hatte. Hatte man sie suchen lassen? Ahnte Isabel, was ihre Tochter getan hatte? Sie wird mir nie verzeihen, dachte Layla. Das taube Gefühl des Unglücklichseins, das sie den ganzen Tag umhüllt hatte, veränderte sich und wurde zu einem Brennen. Sie flüchtete zu Tariq.
    Da man ihn zwang, im Bett zu liegen, war Tariq hellwach. Er setzte sich auf, als er seine Schwester sah.
    »Wo warst du so lange?«, fragte er. »Wir wollten doch Schach spielen. Du hast ja keine Ahnung, wie öde es mit einem gebrochenen Bein ist.«
    Layla setzte sich auf sein Bett; der mühsam errichtete Damm ihrer Selbstbeherrschung stürzte endlich zusammen, und sie brach in Tränen aus. Tariq wusste nicht, was er tun sollte. Also umarmte er sie, die sich an ihm festklammerte und immer heftiger weinte, weil es zum ersten Mal in ihrem Leben etwas gab, das sie ihm nicht erzählen konnte. Schließlich besann er sich auf seine männliche Würde und rückte ein wenig von Layla ab.
    Er wusste nicht, was geschehen war, und das beunruhigte ihn; gewöhnlich hatte er keine Schwierigkeiten zu erkennen, was Layla verärgert oder bestürzt hatte. Außerdem hatte sie seit Jahren nicht mehr geweint; es passte nicht zu ihr, und um diesen rätselhaften Zustand schnellstmöglich zu beenden, zerbrach er sich den Kopf nach einer Ablenkung. Schließlich kam ihm eine Idee.
    »Itimad war vorhin hier, mit Süßigkeiten«, sagte er und hob die Schale vom Boden auf. »Ich mag keine Schokolade mehr. Da, nimm schon. Du bist ohnehin zu dünn.«

    Layla musste unter Tränen lachen. »Und du bist so ein schlechter Lügner, Tariq ben Ali«, sagte sie. Sie griff nach einer gezuckerten Frucht, und die Süße begann den Salzgeschmack aus ihrem Mund zu vertreiben.

    Die Zwillinge erzählten ihrer Mutter später, Layla sei verbotenerweise in der Stadt gewesen und habe dann Tariq besucht. Isabel äußerte sich nicht dazu, und der Gedanke, dass ihre Mutter ahnte, was geschehen war, ließ Layla nicht mehr los, ebenso wenig wie der Alptraum, der sie in der Nacht nach Muhammads Flucht heimsuchte.
    Sie träumte, sie ginge in den Gärten spazieren, mit Morayma, die ihr Kind bei sich hatte. Plötzlich warf Muhammads Gemahlin ihren Sohn in die Luft, und er verwandelte sich in eine Taube, die davonflatterte. Layla starrte Morayma verwundert an.
    »Aber ich bin doch eine christliche Spionin«, sagte ihre Schwä gerin. »Weißt du das nicht?«
    Dann war sie verschwunden. Layla stand allein inmitten von Pflanzen aller Art, die immer näher rückten. Jemand lachte, und sie wusste, dieses Lachen hatte sie schon einmal gehört; sie konnte sich nur nicht erinnern, wo und wann. Das Lachen ging in ein Flüstern über, das sie zunächst nicht verstand, bis sie begriff, dass es ihr Name war, immer

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