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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Eroberung des Jabal Tariq, als der Herzog darauf bestanden hatte, dass die arabische Garnison sich ihm als dem Ranghöheren ergab, obwohl es Don Rodrigo gewesen war, der die militärische Leistung vollbracht hatte.
    »Ich dachte, er würde sich deswegen Zeit lassen, um derjenige zu sein, der Alhama wieder von dir zurückerobert, nachdem sein Feind gescheitert ist. Ich dachte, ich hätte noch Zeit, um Muhammad zu finden und wieder einzufangen. Wir wären dann immer noch rechtzeitig genug gekommen, um dir beistehen zu können, und du hättest nie etwas von der ganzen unerfreulichen Geschichte hier zu erfahren brauchen.«
    »Alles, was ich weiß«, entgegnete Ali immer noch zornig, »ist, dass du, der du dich den größten Krieger unseres Reiches nennst, versagt hast, als ich dich brauchte. Und dass mein Sohn verschwunden ist, Allah weiß, wohin, obwohl er hier unter Arrest stand. Ich danke dir, Bruder, für diese Wohltaten.«
    Niemand sonst hätte es wagen dürfen, so mit al Zaghal zu reden. Er biss die Zähne zusammen und schwieg, nur seine Kinnmuskeln arbeiteten.
    »Bruder«, sagte Ali, mit einem Mal müde, »Alscha schwört, dass du den Befehl gegeben hast, Muhammad in meiner Abwesenheit umzubringen. Ist das wahr?«
    In ihrer Kindheit hatten die beiden gerne ein gefährliches Spiel gespielt, um ihren Mut zu beweisen. Sie gingen in die Berge und suchten sich eine gefährliche Klippe aus. Einer der beiden legte sich dann auf den Klippenrand, der andere ergriff seine Hände und ließ sich über den Abgrund hängen. Jedes Mal etwas länger. Es war ein ständiger Wettbewerb zwischen zwei Rivalen, die sich gleichzeitig ihr Leben anvertrauten. Daran erinnerte sich al Zaghal, als er um eine Antwort rang. Es war dasselbe Gefühl. Zwischen Himmel und Abgrund, und nur Alis Hände hielten ihn fest, aber Ali konnte jeden Augenblick loslassen.
    Er hatte eigentlich vorgehabt, Ali sein Vorgehen zu erklären.
    Sicher würde sein Bruder einsehen, dass es in der Tat die einzige Lösung war, dass al Zaghal ihm nur eine Last abgenommen hätte, die ihm schon längst wie ein Mühlstein am Hals hing. Ali, hatte al Zaghal gedacht, wäre eine Weile sicherlich erzürnt, aber letztendlich würde er verstehen.
    Was er nicht eingeplant hatte, war die Katastrophe von Alhama und die Gemütsverfassung, in der Ali sich befand, nachdem er von dort zurückgekommen war. Al Zaghal war ein rücksichtsloser Mann, und wäre er nicht als Prinz geboren, hätte er als Seeräuber ebenso glücklich werden können. Aber einige Dinge gab es, die ihm am Herzen lagen. Unter anderem das Königreich Granada und sein Bruder. Er setzte alles auf einen Wurf.
    »Alscha lügt«, sagte er gelassen und souverän. »Sie hat Muhammad zur Flucht verholfen, und, so Leid es mir tut, diese Flucht kann nur eines bedeuten. Er will nicht länger darauf warten, deinen Thron zu besteigen.«
    Die beiden Männer, einander so ähnlich, schauten sich an, und das Vertrauen einer ganzen Lebenszeit hing in der Schwebe.
    Dann seufzte Ali und wandte sich ab. »Ich wollte es nicht wahrhaben, aber in meinem Herzen wusste ich, es ist so.«
    Al Zaghal legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter.
    Nach einer Weile fuhr Ali fort: »Das macht es uns natürlich unmöglich, sofort wieder gegen die Christen zu ziehen. Er ist sehr beliebt, und wenn ich seine Verbannung verkünde, so bald nach Alhama, wird das Volk murren. Und ich kann es mir nicht leisten, mit einer Armee zu kämpfen, die nicht zuverlässig ist.«
    »Wir werden sie vertreiben«, sagte al Zaghal. »In ein paar Monaten. Es steht geschrieben, dass Allah uns Prüfungen sendet, damit der Sieg umso glänzender werde.«

    Als man ihr mitteilte, dass ihr Vater sie in Alschas Gemächern zu sehen wünsche, wusste Layla, was sie erwartete. Doch dank der Zeit, die inzwischen verstrichen war, betrat sie diesen Teil der Alhambra beim zweiten Mal wesentlich gefasster, als es beim ersten Mal der Fall gewesen war.
    Während sie sich verneigte, bemerkte sie entsetzt, wie sehr ihr Vater in den letzten Wochen gealtert war. Das Grau hatte sich bei ihm zum größten Teil in Weiß verwandelt, seine dunklen Augen lagen tief in den Höhlen, und sie konnte sich auch nicht erinnern, ihn je so erschöpft erlebt zu haben.
    Ihre Erscheinung schien ihn ebenfalls zu verwundern, denn als sie sich aufrichtete, sagte er: »Aber Layla, du bist… hm… groß für dein Alter.« Sie war nicht größer als vor ein paar Wochen, also verstand sie nicht, was er meinte. Er

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