Mondlaub
»Seht Ihr das? Dieser heidnische Bastard war nicht damit zufrieden, den Fluss zu stauen, umzuleiten und seine Truppen dort zu postieren, nein, er hat auch noch dafür gesorgt, dass unsere Leichen das Wasser vergiften. Selbst wenn wir die Mauren auch nur eine Stunde lang genügend zurückdrängen könnten, um uns neues Wasser zu holen, würde es nichts nützen.« Ortegas Gesicht sah grau aus. Er leckte sich die Lippen. »Und - was machen wir nun?«
Don Rodrigo zog langsam einen seiner Kettenhandschuhe aus und blickte zum Himmel. Es war wenigstens nicht Sommer.
Aber die ersten Sterne waren deutlich zu erkennen, es gab keine Wolken; die Zeit der Stürme war offensichtlich vorüber.
»Wir warten auf unsere Verstärkung«, sagte der Marquis. »Und sparen jeden Tropfen Wasser, der sich finden lässt. Wasser gibt es nur noch für die Soldaten und die Pferde. Es tut mir Leid um die Verwundeten, aber die kampffähigen Männer kommen zuerst. Für die Gefangenen gibt es überhaupt nichts. Haben wir uns verstanden?«
Den Mienen seiner Hauptleute nach zu schließen, hatten sie ihn in der Tat verstanden.
Während die Belagerung ihren Lauf nahm, beunruhigte den Emir mehr und mehr das Ausbleiben jeglicher Informationen aus Granada. Er hatte al Zaghal gebeten, ihn über weitere Bewegungen an der Grenze auf dem Laufenden zu halten, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass ein erfahrener Kommandant tief ins Innere eines feindlichen Landes marschierte, wo er von jedem Nachschub abgeschnitten sein würde, ohne mit Verstärkung irgendeiner Art rechnen zu können. Unter anderen Umständen wäre er, Ali, zweifellos im Vorteil gewesen, denn er konnte beliebig lange vor Alhama ausharren; aber der Marquis von Cadiz war kein Dummkopf. Etwas würde geschehen.
Er verspürte widerwillige Achtung vor seinem christlichen Feind; er konnte sich vorstellen, wie es mittlerweile in Alhama aussah. Dennoch zeigten sich jeden Tag die Soldaten in ihren Rüstungen, welche die Sonne widerspiegelten, auf den Mauern.
Schließlich entschied Ali, nicht länger zu warten. Die Christen mussten mittlerweile zu geschwächt sein, um einem erneuten Sturmangriff zu widerstehen. Er hatte sich entschlossen, eine Seite aus Don Rodrigos eigenem Lehrbuch zu verwenden. Während er die scheinbare Hauptattacke anführte und so alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte, würden ausgewählte Männer versuchen, heimlich die andere Seite der Mauer, die wegen ihres steilen, felsigen Untergrunds als unzugänglich galt, zu erklimmen, in die Stadt einzudringen und die Tore zu öffnen.
Sie kamen etwa bis zur Stadtmitte. Dann schlossen die Truppen, die der vorausschauende Marquis für einen solchen Fall bereitgestellt hatte, sie ein, verzweifelte, ausgehungerte und von brennendem Durst gequälte Männer, die um ihr blankes Überleben kämpften und jetzt eine kleine Gruppe der Leute vor sich sahen, die für ihren Zustand verantwortlich waren.
Als die Anzahl der Verteidiger auf den Wällen geringer wurde, ahnte Abul Hassan Ali, dass sein Plan erfolglos geblieben war.
Er setzte den Angriff trotzdem unter Einsatz seiner gesamten Reserven fort; doch kurze Zeit später traf einer der Kundschafter ein, die er selbst losgeschickt hatte, um die Grenzgegend zu beobachten, und meldete, dass eine große christliche Armee unter dem Befehl des Herzogs von Medina Sidonia auf dem Weg nach Alhama war.
Zwischen zwei christliche Streitkräfte gestellt, selbst wenn eine davon halb verdurstet war, wäre sein eigenes Heer zu einem aussichtslosen Kampf verurteilt. Voller Ingrimm und Trauer und mit einem bitteren Geschmack im Mund befahl Ali den Rückzug nach Granada.
Stadt und Palast hallten vom Wehklagen der Bevölkerung wider, als der Emir zurückkehrte, doch die Alhambra erlebte au ßerdem noch den ersten heftigen Streit zwischen Abul Hassan Ali und seinem Bruder al Zaghal.
»Warum hast du mich nicht rechtzeitig benachrichtigt? Hast du dir überhaupt die Mühe gemacht, die Grenze beobachten zu lassen, oder warst du zu sehr damit beschäftigt, hier den Herrscher zu spielen?«, fragte Ali eisig.
Al Zaghal war nicht daran gewöhnt, im Unrecht zu sein und sich verteidigen zu müssen. Er hatte keine Übung darin und er tat es sehr schlecht.
»Die Armee der Ungläubigen wurde von Medina Sidonia geführt, und jeder weiß doch, dass er diesen Rodrigo hasst wie die Pest!« In der Tat ging der Streit zwischen dem Herzog von Medina Sidonia und dem Marquis von Cadiz über Jahrzehnte zurück bis auf die
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