Mondlaub
verächtlich, machte sich von der Hand seiner Mutter los und ging auf Ali al Atar zu,
»sind Verräter wie Ihr. Und ich werde dafür sorgen, dass Ihr alle Euren Kopf verliert!«
Layla nahm sich vor, ihn später ausgiebig mit Verwünschungen zu überhäufen. Das war genau der richtige Augenblick, um den Helden zu spielen!
Ali al Atars Hand fuhr an seinen Säbel. Alscha sagte langsam:
»Wir sollten sie wahrhaftig gefangen halten, mein Sohn.« Aus der Art, wie sie »gefangen halten« aussprach, ließ sich schlie ßen, dass sie etwas ganz anderes meinte. Muhammad schüttelte den Kopf.
»Nein. Sie ist die Gemahlin meines Vaters, und das sind seine Kinder.«
Alschas Miene zeigte Ungeduld. Ali al Atar fragte höhnisch:
»Wie können wir da sicher sein?« Dann stöhnte er auf und starrte überrascht nach unten. Tariq hatte ihn mangels einer anderen Waffe mit der Faust in den Bauch geschlagen.
»Du kleiner Bastard«, flüsterte der mächtige Krieger leise, »das sollst du mir büßen.«
Immer noch kühl und gelassen, sagte Alscha: »Bring ihn um.«
Layla hörte den fassungslosen, unmenschlichen Aufschrei ihrer Mutter, sie sah Muhammads unwillkürlichen Schritt nach vorne, Ali al Atars blitzschnellen Schlag mit dem Säbel, bevor sie begriff, was Alscha gesagt hatte.
Tariq hatte noch nicht einmal Zeit zu schreien.
Seine Mutter fiel auf die Knie. Layla selbst war schon längst auf dem Boden, rutschte zu Tariqs leblosem Körper. Der Kopf lag säuberlich abgetrennt daneben. Sein Mund war leicht geöffnet, die Augen verwundert aufgerissen. Sie starrte auf Tariqs Kopf, versuchte, ihn wieder an den Hals zu pressen, ohne auf die schrillen, monotonen Schreie ihrer Mutter zu achten. Dann erkannte Layla, was sie tat, und löste mühsam ihre Hände aus Tariqs wirrem Haar. Ihre Zähne schlugen aufeinander, aber sie konnte immer noch nicht schreien.
Langsam hob sie den Kopf und sah Muhammad vor sich stehen.
Wie betäubt registrierte sie, dass er nichts tat. Überhaupt nichts.
Sie hörte Alschas Stimme durch die Schreie ihrer Mutter dringen. »Es war notwendig, mein Sohn. Ali al Atar hätte es in jedem Fall getan. Auf diese Weise wird niemand mehr dein Recht auf den Thron in Frage stellen können, und auch die Christin wird nie wieder eine Gefahr sein. Sieh sie dir doch an.«
Isabel hörte auf zu schreien. Sie kroch zu ihren Kindern, doch sie berührte weder Tariq noch Layla. Ali al Atar steckte seinen Säbel wieder ein, und dieses Geräusch war es, das etwas in Layla einrasten ließ und sie endlich in die Lage versetzte, den Mund zu öffnen. Als sie den Klang ihrer eigenen Stimme hörte, bemerkte sie verwundert, dass sie nicht schrie, sondern flüsterte.
»Vernichten. Euch alle. Vernichten.«
Jemand legte seinen Arm um sie, Fatima. Layla schüttelte sie ab. »Das arme Kind«, sagte die Amme weinend. Ali al Atar starrte mit einem gewissen Ekel auf Layla herab, Alscha drehte sich um und ging. Während sie auf ihre Mutter starrte, die neben ihr kniete, erkannte Layla, dass sie nichts empfand. Keinen Schmerz, kein Mitleid mit ihrer Mutter, kein Entsetzen. Sie hüllte sich in diese selige Empfindungslosigkeit, die sie in die Lage versetzte, alles zu beobachten und sich einzuprägen, denn nichts davon war wirklich. Sie wollte das ihrer Mutter mitteilen, doch sie entdeckte, dass sie vergessen hatte, wie man Sätze formulierte. Dann bemerkte sie, dass ihre Hände klebrig waren.
Layla hob sie an ihr Gesicht und starrte sie verwundert an. Es ist natürlich Blut, dachte sie und dann überhaupt nichts mehr; sie ließ sich fallen, bis nur noch Schwärze sie umgab.
II
Kastilien
»Der König und die Königin waren sich zusammen mit dem Kronrat
darüber einig, dass der Zwiespalt zwischen den beiden maurischen
Königen die Eroberung Granadas bedingte (…).«
Isabella und Fernando in einem Erlass
Es war überraschend leicht, Granada zu verlassen. Die Stadt befand sich inzwischen völlig in der Gewalt Muhammads und der Banu Sarraj, und obwohl einige die verhasste Favoritin des alten Emirs erkannten und ihr Flüche nachriefen, sorgte die Eskorte, die Muhammad Isabel und ihrer Tochter mitgegeben hatte, dafür, dass man sie passieren ließ, ohne sie anzurühren.
Layla registrierte weder die gelegentlichen Verwünschungen noch das Eingreifen der Eskorte; sie empfand auch nicht den Abschied von der einzigen Heimat, die sie je gekannt hatte. Ihr allmählich wieder erwachendes Wahrnehmungsvermögen beschäftigte sich mit dem
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