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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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räusperte sich.
    »Hast du«, fragte er streng, »Alscha erzählt, du hättest al Zaghal Muhammads Tod planen hören?«

    Das Mädchen hatte es bisher erfolgreich vermieden, Alscha anzusehen. Sie hatte diese Frage erwartet, aber diesmal ausreichend Zeit gehabt, um über ihre Handlungen nachzudenken, und sie hatte sich entschieden. Also schaute sie auf und blickte Alscha, die in einiger Entfernung von ihrem Vater stand, voll ins Gesicht.
    »Nein«, sagte Layla, mit einem Hauch Verwunderung und Vorwurf in der Stimme.
    Alscha zuckte zusammen, und einen Moment lang war sie fassungslos. Dann bestanden ihre Augen nur noch aus glühendem Hass. Layla kam sich vor wie eine Seele, die von Iblis gefangen wurde. Alscha war bis zu diesem Zeitpunkt der furchteinflö ßendste Mensch in ihrer Welt gewesen, aber während sie dem Blick der Fürstin standhielt, entdeckte sie, dass Alscha nur eine verzweifelte Frau in einer ausweglosen Lage war und dass es schlimmere Dinge gab: ihrer Mutter gegenüberzutreten, nachdem sie sie des Mordversuchs bezichtigt hatte, beispielsweise.
    Muhammad das Leben zu retten, war eine Sache; ihre Mutter zu verraten, eine andere. Mit dieser Unterscheidung hatte sie ihr Gewissen inzwischen beschwichtigt.
    »Sie lügt«, stieß Alscha hervor. Wenn sie nichts hinzugefügt hätte, wäre sie vielleicht überzeugender gewesen, doch sie sprach weiter, immer hastiger, als liefe sie vor jemandem davon: »Sie lügt! Das war alles von Anfang an geplant! Deine christliche Hexe steckt dahinter! Verflucht sei der Tag, der sie nach Granada brachte, verflucht seien sie und alle ihre Nachkommen! Möge Dschehannam sie verschlingen, sie ist unser aller Verderben, ich habe es dir…«
    »Das genügt«, unterbrach Ali sie kalt. »Wenn überhaupt etwas, dann ist deine Eifersucht unser aller Verderben. Du kannst gehen, Layla.«
    Während Layla sich erneut verbeugte, wunderte sie sich dar über, dass Alscha tatsächlich schwieg. Sie ahnte nicht, dass an diesem Tag das letzte dünne Band, das Alscha noch mit ihrem Gatten verknüpfte, zerrissen war.

    Wie der Emir es prophezeit hatte, rief die öffentliche Verbannung seines Sohnes heftigen Protest hervor; doch er erstarb überraschend schnell, innerhalb weniger Wochen, wie auch das Gerede über seine Niederlage bei Alhama. Al Zaghal kehrte nach Malaga zurück, und Abul Hassan Ali beschloss, eine Woche allein in Alexares zu verbringen, um sich von den Katastrophen der letzten Zeit zu erholen, wie er offiziell verlauten ließ.
    Alexares war ein kleiner Landsitz in der Nähe der Hauptstadt, nicht geeignet, einen großen Hofstaat mitzunehmen; doch die Entscheidung des Emirs, wirklich allein dorthin zu gehen, auch ohne eine seiner Frauen, offenbarte zwar seine Stimmung mehr als deutlich, hatte jedoch noch einen anderen Grund. Spione am Hof der christlichen Könige waren selten und zu kostbar, um ihre Entlarvung zu riskieren. Ali, der alle seine Verbindungen genutzt hatte, wartete dringend auf eine Botschaft, die ihm das Ziel des nächsten christlichen Angriffs verriet.
    Zur Verwunderung der Zwillinge wirkte ihre Mutter entspannter und fröhlicher, als die Geschwister sie in den letzten Jahren je erlebt hatten. Layla fürchtete sich immer noch vor dem Moment, an dem ihre Mutter sie nach Muhammads Flucht fragen würde, aber Isabel schien die Unterredung mit al Zaghal vergessen zu haben. Sie umarmte ihre Kinder und sagte überschwänglich: »Jetzt beginnen für uns die guten Jahre!«
    »Aber Mutter«, protestierte Tariq, »jetzt hat doch der Krieg angefangen, mit den Christen in Alhama und…«
    Er stockte. Christen waren etwas, worüber die Zwillinge nicht mit ihrer Mutter sprachen, weil sie selbst dieses Thema aus ihren Gesprächen verbannt hatte. Isabel bemerkte seine Verlegenheit nicht und sagte abwesend: »Es hat immer Krieg gegeben. Den gibt es schon seit Hunderten von Jahren. Ich meine, jetzt beginnen die guten Zeiten für uns! Du wirst Emir, mein Sohn, und wir leben glücklich bis ans Ende unserer Tage.«
    Ihr entging, dass sich ihre Freude nicht auf die Kinder übertrug.
    Die Zwillinge blickten sich an. Sie hatten inzwischen die schaurigen Einzelheiten aus Alhama erfahren. Mit einer Schüssel Pistazienkerne bewaffnet, flüchteten sie in eines ihrer Gartenverstecke. Was sie nicht selbst aßen, verfütterten sie an die Vögel.
    »Bei lebendigem Leib in der Moschee zu verbrennen«, sagte Layla niedergedrückt. »Stell dir das vor. Und der Rest ist vor Durst wahnsinnig

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