Mondlaub
Zustand ihrer Mutter, um nicht ständig an Tariq denken zu müssen. Die völlige Apathie, in die Isabel versunken war, hätte ihre Tochter unter anderen Umständen verstört; so hatte Layla nur festgestellt, dass man Isabel das Haar kämmen, sie ankleiden, sie führen musste. Sogar um sie auf ihr Pferd zu heben, war ein Mann aus der Eskorte notwendig gewesen.
Sich um eine Mutter zu kümmern, die so unselbstständig wie ein Kleinkind geworden zu sein schien, zog Layla in jedem Fall dem tückischen Kreis vor, in dem sich ihre Gedanken wieder und wieder drehten: Es war alles ihre Schuld. Hätten ihre Mutter und al Zaghal Erfolg gehabt, dann wäre Tariq nicht gestorben. Hätte sie selbst nicht einer völlig lächerlichen Schwäche nachgegeben, dann lebte Tariq noch.
Sie würgte, als sie an Tariqs fassungslosen Blick, an seinen aufgerissenen Mund dachte, und erkannte entsetzt, dass die schützende Taubheit sie nun verlassen hatte. Verzweifelt heftete sie den Blick auf ihre Mutter.
Die Eskorte, die Muhammad ihnen mitgegeben hatte, verließ sie, sobald die Stadt außer Sichtweite war, was Layla nicht weiter wunderte. Keiner von ihnen hatte wohl den Mut, ihrem Vater gegenüberzutreten.
»Wir sind bestimmt bald in Alexares«, sagte sie zu ihrer Mutter, obwohl sie keine Antwort erwartete; es kam ihr nur darauf an, die Stille zu durchbrechen. Doch Isabels Kopf fuhr hoch, und sie starrte ihre Tochter an wie eine Schlafwandlerin, die man aufgeweckt hatte.
»Wir reiten nicht nach Alexares«, entgegnete sie hart.
Fatima bemühte sich, ihren Maulesel im Zaum zu halten, und hörte sie nicht; Layla war sich nicht sicher, was sie selbst gehört hatte. Mit einem Mal entdeckte sie, dass es doch noch etwas zu fürchten gab: Ihre Mutter könnte den Verstand verloren haben.
»Aber Mutter«, sagte Layla in einem beschwichtigenden Tonfall, »Vater ist in Alexares. Und sobald er…«
Isabel saß sehr aufrecht auf ihrer Stute und ihr Mund verzog sich in tiefster Verachtung und bitterem Hass. »Wir gehen nicht zu deinem Vater«, antwortete sie. »Ich will weder ihn noch den Rest dieser Mörder jemals wiedersehen.«
Layla hatte gedacht, sobald sie die Stadt hinter sich gelassen hätten, würde es besser, aber sie fühlte sich immer noch in einem Albtraum gefangen. Nun war sie es selbst, die reglos auf dem Pferd saß und sich nicht rühren konnte, während ihre Mutter weitersprach, weder an Layla noch an Fatima gewandt.
»Wir sind also sicher, Ali? Du wirst dafür sorgen, dass mir und meinen Kindern nie etwas geschieht? Oh, und Muhammad würde doch nie etwas Gewalttätiges tun? Die Feuer der Hölle sind noch zu gut für dich.«
Sie beschleunigte ihren Ritt ein wenig, bis sie merkte, dass ihre Tochter zurückblieb.
»Layla, beeile dich«, rief sie ihr ungeduldig zu.
»Aber wohin reiten wir?«
Der Wind verwehte Isabels Stimme bereits. »Nach Hause. Nach Kastilien.«
Fatima war die Einzige, die daran gedacht hatte, etwas Geld mitzunehmen, aber mit einer Reise über die Grenze hatte sie nicht gerechnet. In der nächsten Ortschaft verkaufte Isabel ihre Ringe. Nachdem sie sich mit Proviant ausgerüstet hatten, befahl sie Fatima, in diesem Dorf zu bleiben. Und Fatima, die Geschichten über die Ungläubigen vor Augen, gehorchte nicht ungern. Sie weinte etwas, als sie sich von Isabel und Layla verabschiedete, aber Layla machten ihre Tränen eher zornig, und als sie einen Blick auf ihre Mutter warf, erkannte sie, dass es dieser genauso erging.
Keine von ihnen beiden hatte bisher um Tariq weinen können.
Doch Layla begriff bald, dass ihre Mutter etwas gefunden hatte, was ihrem Leben einen neuen Sinn gab. Es war nicht nur das Offensichtliche, der Hass, der sich in ihrem Fall auf die gesamte Familie der Banu Nasr ausdehnte, einschließlich Abul Hassan Alis. Wenn sie darüber nachdachte, was sich nicht vermeiden ließ, war Layla außerdem sicher, dass sie ebenfalls von ihrer Mutter gehasst wurde. Es war nur gerecht. Sie hasste sich selbst.
Was Isabel jedoch außer dem Hass in sich gefunden hatte, kam für ihre Tochter völlig überraschend. Sie weigerte sich, mit Layla arabisch zu sprechen, und setzte ihre ganze ungeheure Willenskraft daran, das Mädchen in eine Kastilierin zu verwandeln. Für Layla blieb es ein Rätsel, ob dieser Entschluss ihrer Mutter auch als Strafe für die Banu Nasr gedacht war, oder ob Isabel an ihr ihr eigenes Leben wiederholen und umkehren wollte.
Sobald sie die Grenze überquert hatten, tauschte Isabel in einem
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