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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Dorf ihre Gewänder gegen einige Bauernkleider. Der Schmutz und die Abgenutztheit waren ihr gleichgültig; sie wollte nicht, dass sie und ihre Tochter irgendetwas aus Granada am Leib trugen. Für Layla jedoch waren der Dreck und die unbequeme Enge dieser Kleider furchtbar, aber das fiel ihr erst nach einiger Zeit wirklich auf, denn das Leben schien nur noch aus endlosen, zermürbenden Ritten und unerbittlichen Nächten voller Erinnerungen zu bestehen. Dennoch war sie geistesgegenwärtig genug gewesen, ein Stück aus Granada zu verstecken und bei sich zu behalten: den kleinen Silberring, den sie zu ihrem letzten Geburtstag bekommen hatte.
    Als kleines Kind hatte sie sich immer gefragt, was jenseits der Berge wohl wartete; es wunderte Layla nicht weiter, dass es eine Landschaft geschaffen aus Alpträumen war, umso quälender, weil sie Granada so sehr ähnelte. Doch erst als sie vor dem Kastell der de Solis stand, wurde ihr die Ungeheuerlichkeit der ganzen Reise bewusst. Wie hatte ihre Mutter es fertig gebracht, diesen Ort wiederzufinden, den sie doch in ihrer Kindheit verlassen hatte? Und was tat sie, Layla, eigentlich hier, in diesem Land voller schmutziger und halb verhungerter Menschen?
    Ich sollte in Alexares sein, dachte Layla verwirrt. Etwas von ihrer Eigenwilligkeit kehrte zurück, wurde aber rasch wieder unterdrückt, denn mittlerweile war sie so weit gekommen, alles, was nach Tariqs Tod geschah, als Buße anzusehen. Erst als sie vor den alten Mann geführt wurden, der anscheinend der Vater ihrer Mutter war, ließ sich die rebellische Flamme nicht mehr ersticken.
    Die Wachen hatten Isabel selbstverständlich zuerst nicht geglaubt, aber sie hatte die Männer überredet, ihr wenigstens die Gelegenheit zu geben, den Don zu sehen. Layla, die sich ihrer früheren Neugier auf die Vergangenheit ihrer Mutter besann, fand den großen, hageren Mann, der auf sie wartete, hochmütiger als Iblis. Als er sie erblickte, überzog Ekel seine Miene.
    Aber es war deutlich, dass er ihre Mutter erkannte.
    »Ja«, sagte er mit rauer Stimme. »Das ist meine Tochter Isabel.« Die Wachen zogen sich zurück und ließen ihren Herrn mit seinen Gästen allein. Layla, die der alte Mann nach seiner ersten Reaktion keines Blickes mehr würdigte, stellte fest, dass die Halle nach ungelüfteten Kleidern und den Abfällen roch, die man hier anscheinend den allgegenwärtigen Hunden vorwarf.
    Sie schaute sich um, und der Eindruck, hier in ein kaum aufgeputztes Schlachthaus geraten zu sein, verstärkte sich. Überall waren Fettspritzer, und die Fackeln, die in den Haltern an den Wänden steckten, um den Raum zu erleuchten, qualmten. Sie hatte das Bedürfnis zu husten, unterdrückte es jedoch und konzentrierte sich darauf, ihre Mutter und den alten Mann zu beobachten, die sich unverwandt musterten, ohne sich zu rühren.
    »Du bist also wieder da«, sagte er nach einer Weile. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich je wiedersehen würde.«
    Layla wartete vergeblich auf ein Zeichen von Wärme, darauf, dass er ihre Mutter umarmte; immerhin handelte es sich um seine einzige, lange verlorene Tochter. Stattdessen goss Don Sancho de Solis sich noch etwas von dem Getränk ein, das in dem irdenen Krug neben ihm stand. Es wurde Layla bewusst, dass es sich wahrscheinlich um Wein handelte, und sie wäre beinahe zusammengezuckt, bis ihr einfiel, dass die Christen das Verbot von berauschenden Getränken genau wie die übrigen Mahnungen des Propheten ignorierten.
    Die Christen.
    Sie erinnerte sich an die Verwünschungen der Granader. Christin, Christenbalg. Ihr ganzes Leben lang hatte man sie zu diesen Menschen, die ihr jetzt so fremd erschienen, gerechnet.
    »Hat der Maure dich fortgeschickt?«, fragte Don Sancho unterdessen.
    »Nein«, erwiderte Isabel in dem gleichen hochmütigen Ton.
    »Ich bin gegangen.«
    »Es war eine entsetzliche Schande, als ich hörte, dass meine Tochter die Lieblingskonkubine eines Heiden ist«, entgegnete er und nickte dabei mit dem Kopf.
    »Ihr habt es offenbar überlebt«, gab sie zurück. »Genau wie ich.
    Nicht dank Eurer Hilfe. Und jetzt erwarte ich, dass Ihr mir das gebt, was Ihr mir seit Jahren schuldet.«
    Er trank noch etwas von seinem Wein. »Also gut«, sagte er schließlich. »Du kannst hier wohnen. Und wer ist das?«
    Sie legte eine Hand auf die Schulter ihrer Tochter. »Eure Enkelin. Layla.«
    »Kein anständiger Christenmensch hat so einen Namen«, meinte er missbilligend und schaute erneut auf das Mädchen. »Du musst

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