Mondlicht steht dir gut
irgendwem ausweinen. Sie ist autark. Sie ist nicht einer von deinen prähistorischen Kretins und verstümmelt sich selbst, bloß weil sie unglücklich ist.«
»Ich halte Vorträge über Volkskunde, nicht über prähistorische Kretins«, entgegnete Earl steif. »Und ich habe bei ihr vorbeigeschaut, weil ich mir ernsthaft Sorgen gemacht habe, daß sie vielleicht wie Nuala ihre Tür aus Unachtsamkeit nicht absperrt.«
Liams Stimme wurde nun beruhigend. »Earl, ich finde nicht die richtigen Worte. Was ich dir zu sagen versuche, ist, daß Maggie nicht so weltfremd ist, wie es die arme alte Nuala war. Es ist nicht nötig, ihr einen Rat zu erteilen, besonders, wenn er eher wie eine Drohung daherkommt. Hör mal, warum treffen wir uns nicht am Wochenende auf einen Drink.«
»In Ordnung.« Er würde Liam den Scheck unter die Nase reiben. »Komm doch morgen abend gegen sechs bei mir vorbei«, sagte Earl.
»Geht nicht. Da bin ich mit Maggie zum Essen verabredet. Wie wär’s mit Samstag?«
»Ist mir recht, denke ich. Bis dann.«
Er hat also doch ein Auge auf Maggie Holloway geworfen, dachte Earl, während er den Hörer auflegte. Auf die Idee wäre man nie gekommen nach der Art und Weise, wie er sie bei der Party im Four Seasons einfach sich selbst überlassen hat. Aber das war ja typisch für Liam, der so gern in der Menge badete, überlegte er. Eines allerdings wußte er mit Sicherheit: Wenn er seit einem Jahr mit Maggie ausgegangen wäre, dann hätte er ihr wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Wieder einmal überkam ihn ein seltsames Gefühl, eine Vorahnung, daß irgendein Unglück bevorstand, daß Maggie Holloway in Gefahr war, das gleiche Gefühl, wie er es vor einer Woche bezüglich Nualas gehabt hatte.
Das erste Mal hatte Earl solch eine Vorahnung gehabt, als er sechzehn war. Er war zu der Zeit damals im Krankenhaus und erholte sich von einer Blinddarmoperation. Sein bester Freund Ted kam auf dem Weg zu einem Segelnachmittag vorbei, um ihn zu besuchen.
Irgend etwas hatte in Earl den Wunsch geweckt, Ted zu bitten, lieber nicht mit dem Boot aufs Wasser zu gehen, aber das hätte sich blöd angehört. Er wußte noch, wie er den ganzen Nachmittag über das Gefühl gehabt hatte, als schwebe ein Schwert über ihren Häuptern.
Zwei Tage später fanden sie Teds dahintreibendes Boot. Es gab eine Reihe von Spekulationen darüber, was passiert sein mochte, aber es kam nie zu irgendwelchen gesicherten Erkenntnissen.
Earl sprach natürlich nie über den Vorfall, genausowenig wie über sein Versagen, seinem Freund eine Warnung zukommen zu lassen. Und jetzt erlaubte es sich Earl nie, an die anderen Gelegenheiten zu denken, bei denen sich die Vorahnung eingestellt hatte.
Fünf Minuten später brach er zu der Fahrt von knapp sechzig Kilometern nach Newport auf. Um halb fünf hielt er bei einem kleinen Laden in der Stadt, um sich Verschiedenes zum Essen zu besorgen, und dort erfuhr er von dem Tod Greta Shipleys.
»Bevor sie ins Latham Manor umgezogen ist, kam sie immer hier zu uns einkaufen«, sagte der Inhaber des Geschäfts, ein älterer Mann namens Ernest Winter, voller Bedauern. »Eine wirklich nette alte Dame.«
»Meine Mutter und mein Vater waren mit ihr befreundet«, sagte Earl. »War sie denn krank?«
»Soweit ich erfahren habe, hat sie sich in den letzten paar Wochen nicht wohl gefühlt. Zwei ihrer engsten Freundinnen sind vor kurzem gestorben, eine im Latham Manor, und dann wurde Mrs. Moore ermordet. Ich könnte mir vorstellen, daß ihr das wirklich zu schaffen gemacht hat. Das kann passieren, wissen Sie. Komisch, daß mir das gerade einfällt, aber ich weiß noch, wie mir Mrs. Shipley vor Jahren mal gesagt hat, es gäbe so einen Spruch, daß der Tod immer dreifach auftritt. Wie’s aussieht, hatte sie recht. Ist aber irgendwie gruselig.«
Earl packte seine Einkäufe zusammen. Ein weiteres interessantes Thema für einen Vortrag, dachte er. Ist es möglich, daß es eine psychologische Basis für diesen Spruch wie für so viele andere Sinnsprüche gibt? Ihre guten Freundinnen waren von ihr gegangen. Hat irgend etwas in Greta Shipleys Seele den beiden nachgerufen: »Wartet! Ich folge euch!«?
Das ergab schon zwei neue Themen, die ihm allein heute für seine Vortragsserie eingefallen waren. Zuvor war er auf eine Zeitungsnotiz über einen neuen Supermarkt gestoßen, dessen Eröffnung in England direkt bevorstand und in dem die Hinterbliebenen sich all die notwendigen Ausrüstungsgegenstände für eine Bestattung – Sarg,
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