Mondlicht steht dir gut
»Okay, ich ruf dich morgen wieder an.«
Er legte den Hörer auf und saß minutenlang da, ehe er die Nummer seiner Eltern eintippte. Sein Vater meldete sich. Neil kam direkt zur Sache. »Dad, hast du diese Schlösser für Maggies Fenster schon besorgt?«
»Hab sie gerade abgeholt.«
»Gut. Tu mir einen Gefallen, und ruf sie an und sag ihr, daß du sie heute nachmittag einbauen willst. Ich glaube, daß irgendwas passiert ist, was sie nervös macht.« »Ich kümmere mich drum.«
Es war nur ein halber Trost, dachte Neil resigniert, daß Maggie möglicherweise eher dazu bereit war, sich seinem Vater anzuvertrauen als ihm selbst. Aber wenigstens würde sein Vater Augen und Ohren offenhalten, falls es irgendwelche Probleme gab.
Trish kam im selben Moment, als er den Hörer aufgelegt hatte, in sein Büro. Sie hielt einen Stapel Nachrichten in der Hand. Während sie die Papiere auf den Schreibtisch legte, zeigte sie auf das oberste. »Wie ich sehe, hat Ihre neue Kundin Sie aufgefordert, Aktien zu verkaufen, die sie gar nicht besitzt«, erklärte sie mit strenger Miene.
»Wovon reden Sie eigentlich?« fragte Neil.
»Ach, nichts weiter. Bloß, daß uns die Abrechnungszentrale mitgeteilt hat, sie hätten keine Belege dafür, daß Cora Gebhart die fünfzigtausend Aktienanteile besitzt, die Sie am Freitag für sie verkauft haben.«
62
Nachdem sie sich von Neil verabschiedet hatte, legte Maggie auf und ging zum Herd. Ganz automatisch füllte sie den Wasserkessel. Sie sehnte sich nach einer Tasse heißen Tees. Sie brauchte etwas, das ihr half, die beklemmende Realität der Zeitungsnachrufe von den beunruhigenden, ja verrückten Gedanken zu trennen, die ihr durch den Kopf schossen.
Sie nahm rasch eine Inventur dessen vor, was sie bisher in Erfahrung gebracht hatte.
Als sie in der letzten Woche Greta Shipley zum Friedhof gebracht hatte, hatten sie auf Nualas Grab und den Gräbern fünf weiterer Frauen Blumen hinterlassen.
Jemand hatte auf drei dieser Gräber ebenso wie auf das von Nuala eine Glocke gelegt. Sie hatte sie selbst dort gefunden.
Es hatte den Anschein, als sei auch neben dem Grabstein Mrs. Rhinelanders eine Glocke versenkt worden, aber aus irgendeinem Grund fehlte diese Glocke.
Greta Shipley war zwei Tage später im Schlaf gestorben, und kaum vierundzwanzig Stunden nach ihrer Beerdigung hatte jemand auch auf ihrem Grab eine Glocke deponiert.
Maggie legte die Computerausdrucke der Nachrufe auf den Tisch und überflog sie schnell noch einmal. Die Texte bestätigten, was ihr am Tag zuvor aufgefallen war: Winifred Pierson, die einzige Frau aus der Gruppe, bei deren Grab nichts auf eine Glocke hinwies, hatte eine große Familie gehabt. Sie war in Anwesenheit ihres Hausarztes gestorben.
Mit Ausnahme von Nuala, die in ihrem eigenen Haus ermordet worden war, waren die übrigen Frauen im Schlaf gestorben.
Was bedeutete, dachte Maggie, daß zum Zeitpunkt ihres Todes niemand anwesend war.
Sie waren alle laufend von Dr. William Lane, dem Direktor des Latham Manor, medizinisch betreut worden.
Dr. Lane. Maggie mußte daran denken, wie eilig Sarah Cushing dafür gesorgt hatte, ihre Mutter zu einem anderen Arzt zu bringen. Lag das daran, daß sie wußte oder doch den Verdacht hegte, daß Dr. Lane als praktischer Arzt nicht kompetent war?
Oder vielleicht ein bißchen zu kompetent? fragte eine hartnäckige innere Stimme. Vergiß nicht, Nuala ist ermordet worden.
Hör auf, so zu denken, ermahnte sie sich. Doch wie auch immer man die Sache betrachtete, dachte sie, das Latham Manor hatte jedenfalls einer Menge von Leuten Unglück gebracht. Zwei Klientinnen von Mr. Stephens hatten ihr Geld verloren, während sie darauf warteten, daß eine Wohnung dort für sie frei wurde, und fünf Frauen, alle Bewohnerinnen des Latham – die weder so besonders alt noch krank waren –, waren im Schlaf gestorben.
Was hat Nuala dazu bewogen, ihre Pläne hinsichtlich Hausverkauf und Umzug ins Latham zu ändern? fragte sie sich wieder einmal. Und was hat Douglas Hansen, der den Frauen, die ihr Geld verloren haben, Aktien verkauft hatte, dazu bewogen, hier aufzutauchen und ein Angebot für dieses Haus abzugeben? Maggie schüttelte den Kopf. Da muß es doch einen Zusammenhang geben, sagte sie sich, doch was für einen?
Der Kessel begann zu pfeifen. Als Maggie aufstand, um Tee zu machen, läutete das Telefon. Es war Neils Vater. Er sagte: »Maggie, ich hab die Schlösser jetzt da. Ich komme gleich rüber. Falls Sie aus dem Haus müssen, sagen Sie mir, wo ich
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