Mondmädchen
andere Pläne. Er befahl, dass Ptolis Leichnam auf römische Weise verbrannt werden sollte. Da er die Anbetung von Isis und anderen ägyptischen Göttern innerhalb der Stadtmauern Roms verboten hatte, konnte er, wie er sagte, wohl kaum solche Praktiken in seinem eigenen Haus erlauben. Ich hörte, wie er mit Livia draußen vor Ptolis Sterbezimmer darüber stritt, während ich so tat, als schliefe ich.
»Wir sind in Rom und wir tun die Dinge hier auf unsere Art«, sagte Octavian in wütendem Flüsterton. »Wir verbrennen ihn am fünften Tag auf den Scheiterhaufen vor den Stadtmauern und das war’s!«
Livia setzte sich zu meiner Überraschung für meine Wünsche ein. »Mein Gatte, wenn der Leichnam des Jungen verschwindet, könnte das verdächtig wirken. Aber wenn wir ihnen erlauben, ihre ägyptischen Riten zu vollziehen, dann erscheinst du als milde und großmütig. Und genau so muss dein Volk dich jetzt sehen.«
»Ich sehe keinen Vorteil darin, ihren barbarischen Totenriten Raum zu geben«, sagte er, bevor er davonstürmte. »Der Junge wird brennen!«
Nachdem sie gegangen waren, setzte ich mich auf und rückte die Blumen um Ptolis Leichnam zurecht. Ich küsste ihn auf die kalte Stirn und schwor noch einmal, ihm auf althergebrachte Weise die letzte Ehre zu erweisen. Oder bei dem Versuch zu sterben.
An jenem Nachmittag bat ich um eine Unterredung mit Octavian, die mir verweigert wurde. Thyrsus, Octavians Diener, schüttelte den Kopf, nachdem er mir den Zutritt zu seinem Tablinum verstellt hatte. »Caesar ist beschäftigt.«
»Aber ich muss ihn sprechen!«
Thyrsus packte mich am Ellenbogen. »Das mit deinem Bruder tut mir leid«, sagte er leise. »Aber Caesar will nicht gestört werden.«
Ich befreite mich aus seinem Griff. »Ich MUSS zu ihm«, rief ich laut. »Es wird die Götter des Todes erzürnen, wenn er mich nicht anhört!«
Thyrsus schwieg. Ich witterte meine Chance und bedrängte ihn weiter. »Wenn ein Sohn Ägyptens stirbt, versammeln sich alle Götter der Unterwelt um seinen Leichnam und verlangen, dass man sie auf althergebrachte Weise ehrt«, verkündete ich noch lauter, während ich sah, wie Diener, Sklaven und andere Mitglieder des Haushaltes mit großen Augen näher kamen. »Merkt ihr nicht, wie sie sich gerade jetzt dort versammeln? Könnt ihr sie nicht spüren ?«
Thyrsus packte mich. »Du musst jetzt gehen!«
»Nein!«, schrie ich. »Ich muss zu ihm!«
Der mächtigste Mann der Welt kam aus seinem Zimmer gelaufen. »Was hat das hier zu bedeuten? Thyrsus, schaff sie hier weg!«
»Das habe ich die ganze Zeit versucht«, sagte Octavians Diener entnervt und drehte mir die Arme auf den Rücken.
»Ich will mit dir reden!«, schrie ich und wand mich wie ein schlüpfriger Oktopus in Thyrsus Griff. »Du musst die Trauernden gewähren lassen!«
Octavian wandte sich um und sah die wachsende Menge von Zeugen unserer Unterredung. Unter den Augen all seiner Vertrauten und Bittsteller, die Gerüchte über sein Benehmen verbreiten konnten, würde er es nicht wagen, mich zu beschimpfen und fortzuschicken. Sein Bild in der Öffentlichkeit war zu wichtig. Darauf hatte ich gezählt.
Octavian warf mir einen bösen Blick zu, doch dann lächelte er. »Natürlich, natürlich, mein liebes Kind«, sagte er mit gespielter Freundlichkeit. »Die Trauernden muss man in der Tat gewähren lassen.«
Er zog mich in sein Zimmer, wobei er mich unnötig fest am Ellbogen packte. Sobald er die Tür hinter mir geschlossen hatte, zog er die Luft durch die Nase ein und stieß mich von sich weg.
»Du riechst nach Tod«, sagte er. »Ich werde dieses Zimmer reinigen lassen müssen, wenn du wieder draußen bist.«
»Du musst uns erlauben, die alten Riten für meinen Bruder zu vollziehen«, sagte ich.
Er verzog das Gesicht. »Du erwartest doch nicht im Ernst, dass ich mir die Forderungen eines barbarischen Mädchens und Bastard einer Hexe anhöre, oder?«
»Die Götter strafen den, der voll Überheblichkeit handelt«, sagte ich. »Willst du es riskieren, dass sie sich gegen dich wenden?« Dieses Argument hatte ich mir gut überlegt, da ich wusste, dass Octavian ebenso abergläubisch war wie die meisten Römer, wenn nicht gar noch mehr. Er hatte Angst vor Blitzen, vor der Dunkelheit und vor dem Zorn der Götter. Ich betete, dass ich mir das zunutze machen konnte, um ihn von meiner Meinung zu überzeugen.
Doch Octavian ließ sich von meinen Worten nicht rühren. »Ich verehre meine Götter und sehe keinerlei Grund, die euren
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