Mondmädchen
diesem Abend glücklicherweise alleine, sodass wir für uns waren. Alexandros’ Unbehagen und seine heftige Reaktion überraschten mich. Aber ich fand es süß und unterdrückte ein Schmunzeln.
»Was ist denn so lustig?«, fragte Julia.
»Nichts«, antwortete ich und stellte mir Octavians Gesicht vor, wenn er von Marcellus Neigungen erfuhr. Ich unterdrückte mein erneutes Kichern, allerdings nicht sehr erfolgreich.
Marcellus und Juba schauten beide in meine Richtung. Marcellus grinste. »Na, Selene, du siehst ja aus wie Jason, als er das goldene Vlies zum ersten Mal erblickte. Was freut dich denn so?«
Ich riss die Augen unschuldig auf. Juba und Marcellus lächelten angesichts meiner gelösten Stimmung, aber Alexandros schien beleidigt.
Julia, die es nie ertragen konnte, ausgeschlossen zu sein, setzte sich ärgerlich auf. »Was ist denn nun so komisch, Selene?«, wiederholte sie. »Du musst es uns sagen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist nicht an mir, das zu erzählen.«
»Warum denn nicht?«, fragte sie säuerlich. »Was wäre denn so Schlimmes dabei, wenn es der Rest der Welt erführe? Es sei denn«, fuhr sie fort und senkte die Stimme, »du hättest selbst etwas zu verbergen. Wer ist es denn, der dir derart die Röte ins Gesicht treibt?«
»Wer es ist ?«, fragte ich verwirrt, aber ihr Blick galt nicht mir, sondern Alexandros. Ich war empört angesichts der Unterstellung. Tiberius und Julia fanden immer wieder Wege anzudeuten, dass Alexandros und ich eine mehr als geschwisterliche Beziehung hätten – nur aufgrund unserer ptolemäischen Herkunft und der ägyptischen Sitten.
»Ja, ja! Verrate es uns«, sagte Marcellus lächelnd und schien Julias Anzüglichkeiten gar nicht wahrzunehmen. »Wir wollen wissen, welcher Mann mutig genug ist, das zu wagen!«
Julia lachte laut auf und diesmal schoss mir bei seiner Beleidigung wirklich die Röte ins Gesicht. Bei den Göttern, man hätte wirklich erwarten können, dass er besonders rücksichtsvoll mit mir, der Schwester seines Geliebten, umging. Aber dann traf es mich wie ein Schlag in die Magengrube. Vielleicht war es ja gar kein Scherz. Vielleicht sah er mich, genau wie Juba, als unattraktive Schmeißfliege.
Marcellus schaute mir ins Gesicht und setzte sich auf. »Selene, das war nur ein Scherz!«
Julia lachte weiter. Ich schaute zu Alexandros, aber seine Augen ruhten auf Julia mit einem Ausdruck, den ich nicht zu deuten vermochte. Ich nahm an, dass meine eigene Miene leicht genug zu lesen war. Ich ließ mir meine Schuhe bringen und setzte mich auf. Ein Sklave eilte herbei und fing an, mir die Sandalen zu binden.
»Warte«, sagte Marcellus. »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Ich hatte ohnehin keinen Hunger«, sagte ich leichthin. »Außerdem habe ich Lust, einen Spaziergang zu machen. Wer weiß, vielleicht kann ich ja gleich noch ein paar arme männliche Wesen verscheuchen, die mir zufälligerweise über den Weg laufen.« Damit ging ich hinaus.
Ich hörte Schritte hinter mir. Da ich annahm, es wäre Alexandros, ging ich einfach weiter. Wie konnte er sich einfach so zurücklehnen und zulassen, dass mich sein Geliebter derart beleidigte!
»Selene, warte!« Zu meiner Überraschung war es Marcellus. Ich ging weiter. Er holte mich rasch sein. »Selene …«
»Ich heiße Kleopatra Selene …«
»Kleopatra Selene. Ich möchte mich entschuldigen. Bitte, ich wollte dich nicht beleidigen.«
Während wir nebeneinander hergingen, warf ich ihm einen raschen Blick zu. Ich verstand schon, warum mein Bruder sich in ihn verliebt hatte. Er sah wirklich gut aus, mit seinem dichten Schopf blonder Locken und den graublauen Augen. Er machte ein so ehrlich betrübtes Gesicht, dass ich unsicher wurde, aber ich verlangsamte meine Schritte nicht und ging zu dem kleinen Brunnen in der Ecke des Gartens.
»Danke für die Entschuldigung«, sagte ich kühl, »aber es überrascht mich noch immer, dass du die Schwester deines Geliebten beleidigst. Nur damit das klar ist, das ist nicht gerade die beste Strategie, sich bei mir beliebt zu machen.«
»Was?«
»Es sei denn, du benutzt ihn nur«, sagte ich und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Dann würde es allerdings keine Rolle spielen, dass du seine Zwillingsschwester beleidigst. Muss ich mir deswegen Sorgen machen?« Mein Beschützerinstinkt gegenüber Alexandros regte sich plötzlich.
Marcellus schüttelte den Kopf und lachte. »Was im Namen des Hades redest du denn da?«
Wir hatten den kleinen Brunnen erreicht
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