Mondmädchen
zum Schweigen zu bringen. »Ich will nichts riskieren, indem ich zu früh darüber rede. Und denke daran, dass Rom wie eine knurrende Bestie ist«, sagte sie. »Wir müssen warten, bis sie abgelenkt oder geschwächt ist, bevor wir handeln.«
Ihre Versicherungen hatten meine Ungeduld ein wenig gedämpft, aber nicht mein schlechtes Gewissen. Ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass Ptoli sein Fieber überlebt hätte, wenn es mir rechtzeitig gelungen wäre, uns nach Ägypten zurückzubringen.
Ich seufzte, während ich meine Sachen an Ptolis Grab zusammenpackte. »Es tut mir leid, kleiner Bruder«, flüsterte ich ihm zu, wie immer, bevor ich ihn verließ. »Es tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe.«
Ich ging direkt zum persönlichen Garten der Priesterin, wo sie und ich uns weiterhin trafen. Bei jedem meiner Besuche überhäufte sie mich mit Büchern, die ich ansonsten in Rom nicht bekommen konnte: Bücher über Handelspraktiken in Ägypten, über die Geschichte meiner Familie und ihre verschlungenen Verbindungen zu Rom, über den Nil und seine Überschwemmungsgebiete, eigentlich über alles, das mir dabei helfen würde, die Politik, den Handel und die Probleme meines Königreiches zu verstehen. Wenn sich meine Bestimmung erfüllen würde, so schwor sie, würde ich dazu bereit sein.
Sie wartete schon auf mich auf einer Bank unter einem Schatten spendenden Rankgerüst, das mit rosafarbenen Kletterrosen überwuchert war. »Setz dich«, befahl die Herrin der Isis. »Ich muss dich etwas fragen.«
Ich setzte mich auf die Kante des kühlen Marmors und blickte sie erwartungsvoll an. Manchmal prüfte sie meine Lektüre ab. Ich war bereit, ihr zu zeigen, dass ich tatsächlich mein Wissen über die Komplexität des Netzwerkes der vom Nil gespeisten Bewässerungskanäle erweitert hatte.
»Sag einmal«, fragte sie, »träumst du eigentlich manchmal von der Göttin?«
Ich blinzelte und dachte daran, dass auch Amunet mir vor langer Zeit genau diese Frage gestellt hatte. Ich hatte ihr die Wahrheit gesagt, dass es nicht so war; in Ägypten hatte ich noch die Träume eines Kindes geträumt. Aber in letzter Zeit war die Große Göttin tatsächlich mehrmals in meinen Träumen erschienen. Isis kam zu mir im Schlaf und trug dabei das Diadem mit der goldenen Scheibe auf dem Kopf. Ihre Stimme war wie das Rauschen der Wellen hinter unserem Palast in Alexandria. Am Ende eines jeden Traumes winkte sie mich zu sich. »Folge mir«, sagte sie, bevor sie mir den Rücken zuwandte und in der Dunkelheit verschwand, wobei ihr Sternenumhang sich ausbreitete und zum Nachthimmel wurde. Ich wachte jedes Mal auf, bevor ich ihr tatsächlich folgen konnte, und wurde dann immer fast verrückt vor Enttäuschung. So groß war mein Verlangen, bei ihr zu sein, dass ich für sie in den Tod gegangen wäre, wenn sie mich dazu aufgefordert hätte.
»Die Göttin hat dich gerufen«, sagte die Priesterin zufrieden, nachdem ich ihr den Traum geschildert hatte. »Es wird Zeit für deine Initiation in die Mysterien der Isis.«
Mein Herz raste vor Aufregung. Hatte Mutter nicht gesagt, ich würde eines Tages in ihre Mysterien eingeführt werden? Einen Augenblick lang war es, als wäre Mutter hier bei uns und lächelte mich an, als wenn ich ihr eine große Freude bereitet hätte. Ich unterdrückte einen wohligen Schauder.
»Was genau hat diese Initiation zu bedeuten?«, fragte ich.
»Es bedeutet, dass du dein Leben der Göttin weihst und dass du deine Treue bewiesen hast und mit ihrer Liebe gesegnet wurdest. Es bedeutet zugleich, dass wir uns der Zeit des Handelns nähern.«
Ich hatte wohl ein verwirrtes Gesicht gemacht, denn sie fügte hinzu: »Wir müssen Ägypten von denen zurückerobern, die sich der Großen Göttin widersetzen, und das sind Caesar und Rom. Der Tradition folgend können nur diejenigen die Zwei Länder regieren, die in die Mysterien der Isis oder Serapis eingeführt wurden. Die Erfüllung dieser heiligen Pflicht ist somit der erste Schritt zur Wiedererlangung deiner Bestimmung.«
Sie stand auf, ihr Gesicht strahlte Entschlossenheit aus. »Bald ist Vollmond. Du musst in drei Tagen wiederkehren, um mit dem Prozess der Reinigung zu beginnen. Zweimal hast du Caesar schon wegen der Totenriten besiegt. Jetzt ist es an der Zeit, den Sieg über die Riten der Lebenden zu erringen.«
~ Kapitel 32 ~
Sobald ich aus Capua zurück war, rannte ich los, um Alexandros zu suchen, in der Hoffnung, dass es sein Wunsch sein würde,
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