Mondmädchen
geschickt hatte, um dort in einem Zelt mit einem zahnlosen Nomadenhäuptling zu leben. »Ich will das nicht«, sagte ich. »Bring es zurück.«
»Aber Domina besteht darauf …«
»Nein!«
Alexandros lachte. »Sei doch nicht dumm. Wann, glaubst du wohl, werden wir wieder einen so guten Wein bekommen? Ich nehme es«, sagte er zu dem Diener und schnappte ihm den Kelch aus der Hand.
Der Diener wich mit weit aufgerissenen Augen zurück. Alles verlangsamte sich. Ich sah einen grinsenden Alexandros den Kelch an die Lippen führen, erinnerte mich an den Schmerz von Mutters Hieb, als sie mir einen vergifteten Weinbecher aus den Händen geschlagen hatte … Und da wusste ich es.
»Nein!«, schrie ich, packte den Becher und kippte ihn aus. Aber es war schon zu spät. Er hatte einen großen Schluck genommen.
Alexandros blinzelte vor Überraschung. » Pax , Schwester! Ich hätte dir schon etwas abgegeben.«
Ich blickte auf, doch der Diener war schon davongelaufen. Ich wandte mich zu Alexandros und versuchte meine Panik zu unterdrücken.
»Was ist denn?«, fragte er.
Vielleicht hatte ich mich geirrt. Doch dann fing Alexandros an zu husten und sich zu räuspern. »Falerner brennt sonst eigentlich nie so«, murmelte er mit heiserer Stimme.
Ich sprang besorgt auf. Alexandros hustete weiter, sein Gesicht wurde rot. Ich muss geschrien haben. Zosima kam herbeigelaufen. Alexandros hatte Schwierigkeiten, zwischen den Hustenanfällen Luft zu holen.
»Hol den Medicus !«, rief ich Zosima zu. Aber jemand hatte bereits nach ihm geschickt. Der Medicus rief einem Diener zu, er solle Salzwasser bringen, dann packte er meinen Bruder am Kinn und versuchte ihm das Gebräu einzuflößen. In seiner Aufregung und Atemnot schob Alexandros den Medicus mit dem Unterarm von sich. »Du musst!«, befahl der Arzt und verschüttete das Wasser auf Alexandros’ Tunika. Das Gesicht meines Zwillingsbruders war rot, die Sehnen an seinem Hals traten hervor, so sehr wehrte er sich. Der Helfer des Medicus hielt ihm die Arme auf dem Rücken fest, während der Arzt ihn zwang, einen Becher des Salzwassers zu trinken.
Ich merkte, dass ich abwechselnd versuchte, für meinen Bruder zu atmen, und dann wieder vor Angst den Atem anhielt. Der Arzt wollte ihm noch mehr einflößen, doch Alexandros drehte sich auf der Bank zur Seite und übergab sich.
»Gut«, sagte der Arzt. »Gut.«
Er versuchte Alexandros zu stützen, aber mein Bruder war größer als er. So landete Alexandros schließlich auf den Knien, noch immer würgend. Zosima brachte ein kühles Tuch. Ich kniete mich neben ihn und tupfte ihm den Schweiß von Stirn und Nacken.
»Mehr«, rief der Medicus und sein Diener eilte mit dem leeren Tongefäß davon.
Als Alexandros’ Krämpfe aufhörten, zwang der Medicus ihn, noch mehr von dem Salzwasser zu trinken. Diesmal brauchte es nicht halb so viel, bis mein Bruder sich wieder übergeben musste.
Eine Menge von Leuten hatte sich um uns geschart. Ich hörte Julias Stimme. »Alexandros!«, heulte sie, während sie sich an allen anderen vorbeidrängte und mich fast umwarf, um zu ihm zu gelangen. »Was ist geschehen?«
Der Medicus sagte leise etwas zu ihr.
»Gift? Jemand hat ihn vergiftet?«, rief sie.
Das Wort ließ die Wahrheit erst wirklich erscheinen. Meine Hände zitterten. »Woher willst du das wissen?«, fauchte ich den Arzt an. »Und wie kommt es, dass du so schnell hier warst?«
»Ein Diener«, sagte er. »Er kam zu mir gerannt und hat gesagt, es hätte ein Versehen mit dem Wein gegeben.«
»Ein Versehen?«
»Ja«, sagte er und blickte mir dabei nicht in die Augen. »Dass die falsche Person ihn getrunken hätte.«
Der Diener hatte gesagt, Domina würde mir den Wein schicken, um die gute Nachricht zu feiern. Kalte Wut sammelte sich in mir. Warum? Warum tat Livia so etwas? Und warum jetzt, wo wir ihr verfluchtes Haus doch ohnehin verlassen würden?
Meine Glieder begannen zu zittern, doch ich blieb in Alexandros’ Nähe. Der Arzt brachte ihn noch einmal dazu, sich zu entleeren, und wies dann die Diener an, ihn in Livias Krankenzimmer zu tragen. Ich konnte kaum atmen. Bei den Göttern, nicht in den Raum, in dem Ptoli gestorben war!
Eine weinende Julia wurde von einem von Livias Freigelassenen weggeführt. Ich ging hinter dem Arzt her. »Wird er es überleben?«, fragte ich. »Er hat nur einen Schluck getrunken …«
»Ich muss mir den Becher ansehen, aus dem er getrunken hat.«
Ich rannte los und hob ihn aus dem Dreck auf, wohin er gefallen
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