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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Gedanken, »wie kann der große Zorn des Achilles den Willen des Zeus erfüllen?«
    »Weil alles, was passiert, selbst die schlechten Dinge, der Wille der Götter sein müssen, sonst würde es nicht geschehen«, sagte Alexandros, nachdem unser Lehrer ihn aufgerufen hatte.
    »Ja, aber gibt es etwas, was ein Mensch tun kann, wenn sich die Götter so bösartig gegen ihn gewandt haben?«, bohrte Euphronius nach.
    »Nein, wir können dem Schicksal nicht entkommen, das die Götter uns vorherbestimmt haben«, sagte ich, obwohl Euphronius eines der anderen Kinder angesehen hatte, die ebenfalls an unserem Unterricht teilnahmen. Söhne und Töchter der vornehmsten Familien von Alexandria. Ich antwortete ungefragt, da ich noch immer über das nachdachte, was der alte Rabbi über den »freien Willen« gesagt hatte. Er hatte unrecht. Das Schicksal bestimmte über unsere Zukunft.
    Er drehte sich zu mir. »Und was geschieht, wenn die Menschen versuchen, ihrem Schicksal zu entkommen? Jemand anderes diesmal, bitte«, fügte er noch hinzu.
    »Entweder sind sie am Ende tot wie Achilles oder geblendet wie Oedipus«, sagte Euginia.
    »Ja. Jetzt wollen wir uns noch einmal ein wenig näher anschauen, was genau wir mit Hybris meinen …«, fuhr Euphronius fort. Wieder wanderte meine Aufmerksamkeit woanders hin. Ich schaute zu Euginia hinüber, deren schwarze Locken sich hübsch um ihre Schultern ringelten und dicht über das feine gelbe Leinen ihres Gewandes fielen. Wie lange sie wohl still sitzen musste, während ihre Amme mit einer erhitzten Lockenschere diese perfekten Wellen formte? Dieses Detail ihrer Erscheinung faszinierte mich immer, denn sie schien sich ansonsten nicht allzu viele Gedanken über ihr Aussehen zu machen. Vor allem, wenn sie wieder mal so verdammt gut Trigon spielte.
    Euginia hatte wohl gespürt, wie ich sie anstarrte, und lächelte kurz zu mir herüber. Ich richtete die Augen auf Euphronius und schnitt eine Grimasse. Euginia senkte den Blick auf die Wachstafel auf ihrem Schoß und unterdrückte ein Grinsen.
    »Nun, wenn es also unweigerlich eine Strafe – großes Leid und Tod – nach sich zieht, wenn man versucht, dem eigenen Schicksal zu entkommen, warum versuchen die Menschen es dennoch immer wieder?«, dröhnte Euphronius. »Was sollte stattdessen unsere Rolle im Bezug auf die Götter sein?«
    »Verzeih, verehrter Lehrer«, sagte eine Stimme und Euphronius’ weißes Gelehrtengewand schwang im Kreis, als er sich umwandte und Mutters Hofdame Iras gegenüberstand.
    »Die Königin verlangt nach ihrer Tochter. Du musst jetzt mit mir kommen«, sagte Iras, indem sie sich zu mir wandte und den Kopf neigte.
    Mein Herz machte vor Aufregung einen Satz und ich sprang auf und rannte zu ihr hinüber. Auch Alexandros hatte sich erhoben, doch Iras streckte die Hand aus. »Es tut mir leid, mein junger Prinz. Die Aufforderung gilt nur deiner Schwester.«
    Alexandros warf mir einen Blick zu, in dem sich innerhalb weniger Sekunden Überraschung, Verletzung und Wut spiegelten. Ich zuckte die Schultern und hatte ein schlechtes Gewissen. Ich wusste nicht, warum Mutter ihn nicht mit einschloss.
    »Die Königin hat mir aufgetragen, dir zu sagen, dass sie sich später nach dem Abendessen alleine mit dir treffen will«, sagte Iras rasch.
    Mit geradem Rücken und roten Ohren setzte sich Alexandros wieder auf seinen niedrigen Schemel. Ich wandte mich zu dem schattigen Säulengang, der die Bibliothek mit dem Palast verband, aber Iras fuhr fort zu sprechen und bedeutete mir zu warten.
    »Die Königin hat noch eine Bitte«, sagte sie. »Sie bittet dich, eine Gefährtin auszuwählen.«
    Ich blinzelte. Was, beim Flügel des Horus, hatte diese Bitte zu bedeuten?
    »Du darfst eine der hier anwesenden Personen auswählen oder nach einer anderen rufen.«
    Als ich mich nicht rührte, blickte sie mich an und zog die geschminkten Augenbrauen in die Höhe, als wollte sie sagen: »Nun? Entscheide dich!« Ich blickte zu den drei Mädchen, die heute mit uns am Unterricht teilgenommen hatten. Nicht alle von ihnen kamen regelmäßig. Außer Euginia. Sie kam häufiger als die meisten.
    »Euginia«, sagte ich rasch und sah die enttäuschten Gesichter der anderen beiden Mädchen.
    Euginia lächelte mir zu, erhob sich, verneigte sich vor Euphronius und ging hinter mir her, während wir in Richtung des Palastes davonschritten.
    Iras führte uns an den Gemächern der Königin vorbei, durch kurze, verwinkelte Treppenhäuser und kleine, unvertraute Korridore. Als

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