Mondmädchen
übergelaufen. Seine Seeleute sind hinausgerudert, als wollten sie in den Kampf ziehen, doch dann haben sie alle Ruder eingezogen und sich ergeben.«
Vaters Männer hatten ihn schon wieder verraten?
»Und … und jetzt«, fuhr der alte Mann fort, »haben wir gehört, dass auch seine Reiter sich ergeben haben.«
Bei Isis! Der arme Tata!
Der alte Mann rannte davon. Ich stand wie vom Donner gerührt. Was würde nun geschehen? Mutter wusste bestimmt, was zu tun war. Ich raste zu Mutters Arbeitszimmer, sicher war sie dort.
Ich platzte ins Zimmer, nur um feststellen zu müssen, dass es leer war. Wieder ertönten Klagerufe. Bei den Göttern, warum mussten alte Frauen das tun! Denk nach , befahl ich mir. Denk nach, denk nach . Mutter hatte bestimmt darauf bestanden, mit eigenen Augen zu sehen, wie sich die Dinge entwickelten. Ich dachte an König Priamos, der von den hohen Mauern von Troja aus zugesehen hatte, wie Hector gegen Achilles kämpfte. Ja, sie würde es sehen wollen. Aber von welcher Beobachtungsterrasse aus? Mir schwirrte der Kopf.
Und plötzlich hörte ich Vaters Stimme, der laut nach Mutter rief. Sie war voller Wut und Verzweiflung.
»Kleopatra! Wo stecken denn alle? Die Götter mögen verdammt sein, so antworte mir doch einer! Wo steckt die Königin?«
Zu meinem Schrecken hörte ich seine genagelten Militärstiefel in meine Richtung kommen, in Mutters Arbeitszimmer. Sie hatten mir verboten, ohne Erlaubnis hierherzukommen. Er würde wütend sein, dass ich nicht gehorcht hatte.
Ich musste mich verstecken! Aber wo? Ich duckte mich unter Mutters großen Schreibtisch aus Ebenholz und benutzte die goldverzierte Bank, um mich dahinter zu verbergen.
»Kleopatra!«, brüllte Vater, als er in den Raum gestürzt kam. »Sie haben mich verraten! Bis zum letzten Mann haben sie mich verraten! Cacat! Wo steckt sie denn nur?«
Wütend warf Tata seinen Helm quer durch den Raum. Ich erstarrte beim donnernd widerhallenden Klang des Metalls gegen Marmor und sah zu, wie sein Helm mit dem roten Kamm vor mir auf dem Fußboden aufprallte und herumrollte.
»Eros! Wo ist …«
Wieder setzten die Klagerufe ein und Vater hielt inne. Er fluchte leise vor sich hin, als sein Diener den Raum betrat.
»Bei den Göttern, Eros. Wo stecken sie alle? Wo ist Kleopatra?«
Ich konnte Eros’ Gesicht nicht sehen, aber er schien vollkommen verängstigt. »Herr … äh …«
»Raus damit, Mann!«
»Die Königin …«
Schweigen. Mir schlug das Herz bis zum Hals.
»Was? Wo ist sie? Ich muss zu ihr. Sie haben mich alle verraten! Alle miteinander!«
»Die alten Frauen«, fuhr Eros fort. »Sie … sie sagen, dass ein Bote gekommen ist und gerufen hat, die Königin sei tot.«
Nicht möglich. Nicht wahr. Nicht wahr.
»Du lügst!« Es hörte sich an, als hätte Vater Eros geohrfeigt.
»Herr, bitte«, flehte Eros. »Sie sagen, man hätte ihr erklärt, du wärst gefallen und sie konnte es nicht ertragen, und so hat sie sich in ihrem Mausoleum eingeschlossen …«
»Nein! So hatten wir es nicht geplant!« Vater schien zu keuchen.
»Was habt ihr geplant, Dominus ?«
»Dass sie erst, wenn sie einen Beweis für meinen Tod hätte, zum Mausoleum gehen würde. Und dass sie drohen würde, es abzufackeln, falls dieser miese kleine Wurm den Kindern etwas antun will. Sie kann unmöglich …«
Ich riss die Augen auf. Tata hatte damit gerechnet zu sterben? Und dann begriff ich. Er hatte einen ehrenhaften Soldatentod im Kampf sterben wollen, aber Octavian hatte ihm selbst das genommen.
»Eine ihrer Hofdamen kam weinend in den Palast und hat behauptet, die Königin hätte … sich aus Kummer umgebracht …«
»Nein, bei den Göttern, das kann doch nicht wahr sein!«
Ich konnte nicht atmen. Ich konnte nicht sprechen. Ich wollte aufspringen und Eros schlagen. Aber die Klagerufe überall im Palast wurden immer lauter. Ich legte mir die Hände über die Ohren. Es konnte nicht wahr sein. Es konnte nicht wahr sein. Es war nicht möglich, dass Mutter gestorben war, ohne dass ich es wusste.
Mit zugehaltenen Ohren hörte Vater sich an wie unter Wasser. Ich hörte etwas zu Boden fallen. Eros sagte: »Nein, Herr, das kann ich nicht!«
Vater sprach wie aus weiter Entferung. »Tu, was ich dir befohlen habe.«
Etwas schepperte. Etwas fiel. Ein Mann auf dem Boden. Eros! Blut spritzte aus seinem Hals und bedeckte den Boden in einem breiten, schnell fließenden Strom. Ich wich zurück und zog mich unter dem Tisch noch mehr in mich zusammen. Eros’ Hand hielt
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