Mondmilchgubel Kriminalroman
lässt die Frage offen. Er konnte nicht weinen, als seine Exfrau ihn wegen eines anderen verlassen hat. Zuerst war er zornig gewesen, dann bodenlos traurig. Doch die Tränen sind nie gekommen. Der Verlust schmerzt noch immer, obwohl er sich heute ein Leben mit ihr nicht mehr vorstellen kann. Sogar an die vielen schönen Momente kann er sich kaum noch erinnern. Wie ein Besessener hat er seine Beziehung zerlegt, analysiert und schließlich verdrängt. Er ist zum Schluss gekommen, dass sie ihn wie eine Zecke ausgesaugt und als sie des Saugens müde geworden war, sich einfach ein neues Opfer gesucht hat.
»Sie wollen nicht darüber reden, habe ich recht?«
»Ich spreche nicht über mein Privatleben, wenn ich im Dienst bin.« Diese Jung wirft ihre Köder in Form von Fragen geschickt aus und lockt ihn so aus der Reserve. Er muss sich vor ihr in Acht nehmen.
»Kuno spielt das Unschuldslamm, damit er sich möglichst lang in seiner Opferrolle suhlen kann. Typisch Mann. Er wusste genau, dass der Putz seiner Ehe schon lange am Bröckeln war. Ich kann dieses scheinheilige Getue nicht ausstehen.«
»Und ich habe etwas gegen Pauschalurteile.«
»Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre, beobachte ich immer wieder dasselbe Muster. Männer weichen Konflikten aus, weil Aussprachen ihnen zuwider sind. Denn dann müssten sie sich ihren Emotionen stellen.«
Was sie sagt, berührt ihn unangenehm. Seine Frau wollte immer dann mit ihm streiten, wenn er hundsmüde von seinem Dienst nach Hause kam, oder am Morgen beim Frühstück, wenn er in Ruhe die Zeitung lesen wollte. Sie überhäufte ihn mit Vorwürfen, wenn er am wenigsten darauf gefasst war. Ihre Stimmung konnte von einer Minute auf die andere umschwenken. Dauernd musste er sich rechtfertigen. Wenn er das Gespräch abblockte, flippte sie aus und warf ihm vor, die Beziehung nicht ernst zu nehmen.
»Ich sehe, Sie fühlen sich betroffen.«
»Lassen Sie uns bei der Sache bleiben.«
»Glauben Sie mir, Herr Möller, es gibt verletzte Männer, die auch noch Jahrzehnte später auf ihre Exfrauen zornig sind.«
Er fühlt sich ertappt, weicht ihrem Blick aus.
»Sehen Sie, genau das meine ich. Wissen Männer eigentlich, wie beschissen sich eine Frau fühlt, wenn ihre Fragen einfach ignoriert werden?«
»Und wissen Frauen, wie beschissen sich ein Mann fühlt, der in die Enge getrieben wird?«, kontert er aufgebracht.
»Jetzt wird es heikel.«
»Nun, ich bin inzwischen zur Einsicht gekommen, dass Männer und Frauen zu verschieden sind, als dass eine harmonische Beziehung auf Dauer möglich wäre. Sicher, solange man verliebt ist, sieht alles anders aus. Aber danach bleibt höchstens noch eine schwache Glut übrig. Wenn man Glück hat.«
»Mir war das große Glück beschieden, dass ich mit meinem verstorbenen Mann gut streiten konnte. Wir haben sogar mit der Zeit eine richtige Streitkultur entwickelt. Ja, auch beim Streiten waren wir uns ebenbürtig. Ich realisiere erst jetzt, dass ich mit ihm das große Los gezogen hatte.« Sie lächelt. »Ob Sie es mir glauben oder nicht, am meisten vermisse ich die Streitgespräche.«
So sehr diese Jung ihn fasziniert, so wenig kann er sich vorstellen, noch einmal mit einer derart impulsiven Frau zusammenzuleben.
»Hören Sie mir überhaupt zu?«
»Ja, und wie.« Doch sein Lächeln stirbt, bevor es sie erreicht.
»Und warum hat Kuno Ihnen nichts von diesem Streit erzählt, als Sie ihn zum ersten Mal vernommen haben?«
»Das liegt wohl auf der Hand, finden Sie nicht?«
»Ich möchte es von Ihnen hören«, erwidert Jung stur.
»Weil er mit Recht Angst hatte, dass man ihn dann verhaften würde.«
»Ich bin sicher, dass der Mann noch mehr zu verbergen hat.«
»Hat nicht jeder von uns etwas zu verbergen?«
»Sie gehen davon aus, dass er nicht der Mörder ist, nicht wahr?«
»Ich halte mich streng an die Fakten. Man darf sich bei den Ermittlungen nicht auf Sympathien und Antipathien stützen.«
»Trotzdem wird man davon beeinflusst.«
Er gibt ihr recht.
»Folgen Sie auch Ihrer Eingebung?«
»Es kommt vor.«
»Wie wichtig ist bei Ihren Ermittlungen die Fähigkeit, sich in die Einstellung eines anderen Menschen einzufühlen?«
»Empathie ist wichtig, doch ohne gründliche Analyse geht nichts.«
»Ich traue diesem Kuno nicht.«
»Niemand in seinem Bekanntenkreis traut ihm Gewalt zu.«
»Wie viele fleißige, hochanständige Ehemänner rasten plötzlich aus?«
»Seien Sie unbesorgt. Wir schließen nichts aus. Seine Mutter scheint
Weitere Kostenlose Bücher