Mondmilchgubel Kriminalroman
wahrhaben, dass ihr euch auseinandergelebt habt.«
»Früher war sie anders.« Kunos Gesicht wird hart.
Sie kann verstehen, dass ihre Kritik ihn verstimmt. Seine Prinzipientreue und die Unbedingtheit, mit der er auf Einhaltung gewisser Regeln besteht, machten ihn in Militär, Beruf und Sport zu einem erfolgreichen Mann. Wie frustrierend muss es jetzt für ihn sein, mit ansehen zu müssen, wie sein sorgsam errichtetes Gerüst in sich zusammenfällt.
»Meine Frau war immer schon leicht beeinflussbar. Ich hätte mehr Zeit mit ihr verbringen müssen.«
»Ja, vielleicht …«
»Je länger ich meine Frau kannte, desto weniger habe ich sie verstanden. Sie hat in den letzten Jahren das Interesse an meinem Leben völlig verloren. Früher hat sie mich überallhin begleitet.«
»So lange, bis ihr klar wurde, dass sie dein Leben lebte statt ihr eigenes.«
»Na und? Es war ein luxuriöses Leben, ein sicheres Leben und vor allem ein bequemes Leben«, verteidigt sich Kuno.
»Hast du von Iris tatsächlich erwartet, dass sie sich für dich aufgibt?«
»Ich habe ihr jeden Wunsch erfüllt.«
»Hast du mit ihr klassische Konzerte oder Kunstausstellungen besucht? Bist du mit ihr wandern gegangen? Hast du dich wirklich auf sie eingelassen, dich ihren Fragen ausgesetzt, ihr aufmerksam zugehört?«
Kuno beißt sich auf die Lippen. »Ich kann mit Musik und Kunst nichts anfangen und mit Esoterik schon gar nicht.«
»Gleichzeitig hast du von deiner Frau erwartet, dass sie dich zum Bogenschießen und ins Fitnesszentrum begleitet, und dir beim Fußballspielen zuschaut.«
»Früher hat es ihr Spaß gemacht.«
»Vielleicht hat sie es nur getan, weil du es von ihr erwartet hast?«
»Quatsch. Sie war stolz auf mich, und sie hat es mir auch gezeigt. Früher ist sie am Abend gern mit mir ausgegangen. Erst, als sie dich kennenlernte, hat sie damit aufgehört.«
Sie überhört den Vorwurf. »Iris war eben nicht der Typ Frau, der aufgetakelt in Bars herumhängt oder in verrauchten Restaurants Karten spielt.« Sie weiß, dass Kuno sich regelmäßig mit seinen Kumpels zum Jassen trifft.
»Da täuschst du dich. Früher hat sich meine Frau immer für mich schön gemacht, wenn wir miteinander ausgingen, und soviel ich weiß, hat sie sich gut amüsiert.«
»Es kommt häufig vor, dass ein Paar sich nach so vielen Jahren auseinanderlebt.«
»An mir hat es nicht gelegen. Ich wollte mit ihr alt werden.«
»Warst du mit Iris wirklich glücklich?« Es fällt ihr auf, dass er immer wieder ihrem Blick ausweicht.
»Ich war zufrieden, das hat mir gereicht.«
»Gab es für dich all die Jahre nie eine andere Frau?«
»Nein«, erwidert Kuno ohne zu zögern.
Vielleicht gehört er zu der Sorte Männer, die nur davon träumen, fremdzugehen, geht es ihr durch den Kopf. Lucien war ihr nicht immer treu gewesen. Doch seine paar Ausrutscher beschränkten sich stets nur auf eine Nacht. Weder sie noch Lucien hatten je eine Nebenbeziehung.
»Für mich sind Verlässlichkeit und Treue in einer Ehe das Allerwichtigste.«
»Manchmal geschieht es, dass zwei Menschen sich heftig zueinander hingezogen fühlen, unabhängig von den äußeren Umständen. Diese Anziehung wirkt dann wie ein Sog.«
»Wenn man seinen Partner wirklich liebt, gibt man einer solchen Versuchung nicht nach«, erwidert Kuno grimmig. »Ich wusste immer, dass meine Frau labil ist, deswegen war es mir auch wichtig, ihr Halt und Sicherheit zu geben. Ich muss jetzt gehen.«
»Glaubst du immer noch, dass der Eierkari deine Frau getötet hat?«
»Ist doch offensichtlich.«
»Ich habe den armen Kerl heute besucht.«
»Er ist ein Mörder, kein armer Kerl.«
»Er kann sich an nichts erinnern.«
»Ich bin sicher, dass er uns was vorspielt.«
»Warum sollte er das tun?«
»Warum wohl? Ist doch logisch, dass er seine Tat zu verdrängen versucht.«
»Das sehe ich anders. Ich glaube vielmehr, dass er mit angesehen hat, wie Iris getötet wurde. Er ist ein sensibler Mann. Bei traumatisierten Menschen erhöht sich die Empfänglichkeit für seelische Erschütterungen. Wenn sie später erneut einen Schock erleiden, werden sie damit nicht fertig, was zu einer schlagartigen Gedächtnisblockade führen kann.«
»Honegger wuchs wohlbehütet auf. Jeder im Dorf weiß, wie sehr er von seiner Familie gehätschelt wird.«
»Auch eine schwierige Geburt kann ein Kind traumatisieren. Außerdem hat der Tod seiner Mutter ihn tief erschüttert.«
»Dann müsste auch ich traumatisiert sein.«
»Und, bist du es
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