Mondmilchgubel Kriminalroman
sehen.« Er klopft sich auf den Bauch. »Ich glaube, ich habe zu viel Kuchen gegessen. Ich muss mir jetzt die Hände waschen.« Er schwingt sich aus dem Bett und trottet Richtung Lavabo.
»Wenn dir all deine Besucher Kuchen bringen, kannst du damit das ganze Spital versorgen«, neckt sie ihn, als er sich wieder hinlegt.
»Es gibt viele liebe Leute hier. Ich habe ihnen von meinen Hühnern erzählt.«
»Hast du Schmerzen?«
»Ab und zu tut mein Kopf weh. Auch hier tut es weh.« Er zeigt auf seine Schulter. »Der Doktor sagt, dass ich mich nicht zu viel bewegen darf. Aber ich will endlich nach Hause zu meinem Vater und zu meinen Hühnern.«
»Keine Sorge, dein Cousin kümmert sich um deine Hühner.«
»Er mag sie nicht. Er findet sie alle blöd. Und streicheln tut er sie auch nicht.«
»Soviel ich gehört habe, kannst du Ende der Woche nach Hause.«
»Ich gehe schon morgen«, erwidert er energisch. »Ich habe bereits gepackt.«
»Ich bin froh, dass es dir so gut geht.«
»Unkraut verdirbt nicht, sagt mein Vater.«
»Kannst du dich an deinen Unfall erinnern?«
»Ein Auto hat mir den Weg abgeschnitten, dann bin ich gestürzt. Danach weiß ich nichts mehr. Der Doktor sagt, dass man sich nicht an alles erinnern kann, wenn man auf den Kopf fällt.«
»Er hat recht. Warum hast du keinen Helm getragen?«
Kari zieht den Kopf ein, als erwarte er Prügel. »Ich trage immer einen Helm.«
»Siehst du meine Lesebrille?« Sie zeigt auf ihre Stirn. »Wenn ich am Morgen aufstehe, setze ich sie automatisch auf und schiebe sie über meine Stirn, damit ich sie nicht suchen muss. Manchmal passiert es mir aber, dass ich meine Wohnung verlasse und unterwegs feststelle, dass ich sie zu Hause liegen gelassen habe. Das macht mich jedes Mal sauer, weil ich dann nicht lesen kann.«
»Ich benötige keine Brille. Ich habe gute Augen«, erklärt er stolz. »Dafür höre ich schlecht. Das wenigstens sagt mein Cousin. Aber der weiß sowieso alles besser. Wenn er wütend ist, sagt er immer, dass ich spinne.«
»Er meint es bestimmt nicht böse.«
»Er mag meine Hühner nicht.«
»Konntest du das Auto erkennen, das dir den Weg abgeschnitten hat?«
»Es war silbrig, wie das Auto meines Cousins. Und die letzte Zahl auf dem Nummernschild war eine Fünf.«
»Du hast wirklich ein gutes Zahlengedächtnis«, lobt sie ihn.
»Muss ich haben.«
»Hat das Auto dich gestreift?«
»Nein, aber ich musste ihm ausweichen. Danach weiß ich nichts mehr.«
»Das macht nichts.«
»Ich will nach Hause. Ich kann es nicht ertragen, wenn mein Vater traurig ist.«
»Er und deine Tante lieben dich sehr.«
»Meine Tante ist lieb. Aber nicht so lieb wie meine Mutter.« Er kommt ins Schwärmen. »Mit meiner Mutter habe ich immer gesungen. Sie kannte viele schöne Lieder, und sie mochte meine Hühner. Sie hat mir auch beigebracht, wie man Suppenhühner schlachtet. Meine Mutter hat auch gute Kuchen gebacken, aber die besten bäckt Iris. In ihren Kuchen hat es große Schokoladenstücke, und der Kuchen ist nie trocken. Wenn meine Tante Kuchen bäckt, braucht man dazu mindestens drei Tassen Kaffee, sagt mein Vater.«
»Dieses Geheimnis werde ich für mich behalten. Wir wollen schließlich deine Tante nicht kränken.«
Kari strahlt über das ganze Gesicht.
»Bitte lass uns jetzt über deine Freundin Iris sprechen. Einverstanden?«
Sein Gesicht verschließt sich.
Sie beugt sich zu ihm hin, spricht leise, aber deutlich. »Du weißt, dass Iris tot ist, nicht wahr, Kari?«
Er nickt.
»Hast du gesehen, wer deine Freundin Iris getötet hat?«
Er weicht ihrem Blick aus.
»Herr Möller von der Polizei wird dir die gleichen Fragen stellen. Es ist wichtig, dass du uns die Wahrheit sagst. Du möchtest doch auch, dass der Mann, der Iris getötet hat, bestraft wird?«
»Ich darf nichts sagen.«
»Aber warum?« Sie legt die Hand auf seinen Arm.
»Ich musste es versprechen. Ich will jetzt zu meinem Vater.«
»Wem hast du was versprechen müssen?«
Er schüttelt heftig den Kopf.
»Vor einer Woche hat man dich neben Iris im Mondmilchgubel gefunden. Erinnerst du dich daran?«
Er zuckt mit den Schultern.
»Jetzt meint die Polizei, dass du Iris getötet hast. Sie werden dich verhaften, wenn du ihnen nicht sagst, was genau geschehen ist. Das willst du doch nicht, oder?«
»Ich will nicht ins Gefängnis. Ich will zu meinen Hühnern.«
»Dann sag mir bitte die Wahrheit.«
Er richtet sich abrupt auf und schreit: »Ich will nicht!«
Sofort erscheint eine Pflegerin
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