Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
wirklich soooo schrecklich?“
Rackiné konnte herzzerreißend gucken. Wenn die bernsteinfarbenen Augen mit den großen schwarzen Punkten darin so verloren schauten und die Ohren so herabhingen und die Nase so verschnupft vor sich ihn zuckte, kam man nicht umhin, zuzugeben, dass die austrischen Hersteller von Qualitätsspielwaren ganze Arbeit geleistet hatten.
„Ich sag dir jetzt mal was, Rackiné – und du bist besser nicht beleidigt, wenn du das hörst, sondern nimmst es dir zu Herzen!“
„Ja?“, fragte er mit glänzenden Knopfaugen.
Lisandra widerstand der Versuchung, einen milden Tonfall anzuschlagen. Der Hase musste die Wahrheit in voller Härte zu hören bekommen.
„Pass auf“, sagte sie, „im Leben geht das so: Man steht seinen Mann oder man lässt es bleiben. Im ersten Fall muss man mit Gegenwind rechnen, den es auszuhalten gilt, und das kann sehr unbequem werden. Im zweiten Fall duckt man sich weg, wie es einem gerade in den Kram passt, und sucht sich immer das Bequemste aus. Du kannst dir vorstellen, dass diejenigen, die sich wegducken, nicht diejenigen sind, die viel Eindruck hin t erlassen.“
„Was hat das mit mir zu tun?“
„Rackiné! Du bist ein selbstsüchtiger Hase, der sich vor allem drückt, was ihm nicht gefällt! Was soll Thuna denn an dir toll finden? Wenn ihr zusammen in den Wald geht, schleifst du sie immer durch unterirdische Tunnel, obwohl du weißt, dass sie solche Tunnel hasst! Nur, weil du Tunnel magst. Jetzt mal ehrlich, Rackiné, wer bewundert schon einen Hasen, der immer nur an sich denkt? Wir mögen dich alle sehr gern, weil wir dich eben mögen. Aber wer ernst genommen werden will, der muss Ernsthaftes tun! Etwas, das … das für alle gut ist und nicht nur für ihn selbst!“
Rackiné starrte Lisandra an und sie wusste nicht, ob auch nur ein Wort ihrer Rede in seinem Hasenhirn angekommen war oder ob er in Gedanken die nächste Einkaufsliste für Jumi zusammenstellte.
„Und noch etwas, Rackiné! Vielleicht ist es nicht gerade hilfreich, dass du dich die ganze Zeit vor Estephaga versteckst. Lass dich von ihr untersuchen und einschulen und schon gehörst du zum ersten Jahrgang. Glaubst du, Tail hat es besser als du? Ich wäre lieber ein ehemaliger Stoffhase als ein Krokodiljunge mit einer grünen Lederschnauze! Aber Tail ist nicht zu feige, in die Schule zu gehen!“
„Ich bin nicht feige!“, rief Rackiné. „Ich gehöre in den bösen Wald, ich bin kein blöder Schüler!“
„Dann gehörst du eben in den bösen Wald! Das liegt doch alles nur an dir! Du kannst dir aussuchen, wer du sein willst, aber dann musst du dir selbst auch gehorchen! Wenn du sagst, du willst sein wie wir, dann verhalte dich so. Wenn du sagst, du bist ein Geschöpf des bösen Waldes, dann leb im bösen Wald! Niemand hindert dich daran.“
„Bist du jetzt fertig?“
Lisandra überlegte kurz und nickte dann.
„Ja.“
„Dann hau ab und lass mich endlich in Ruhe.“
Lisandra wusste nicht, ob sie lachen oder sich aufregen sollte. Jedenfalls war das Mitleid für Rackiné nun verflogen und es gab keine Veranlassung mehr, hier neben ihm auf dem Boden zu sitzen und sich das selbstmitleidige Gejammer anzuhören.
„Ach, mir fällt noch ein Grund ein, warum sie dich nicht ernst nimmt“, sagte Lisandra, als sie ihren Krötenkörper in Bewegung setzte, um Rackinés Erker zu verlassen. „Sie hat Geschmack!“
Rackiné spuckte doch tatsächlich nach ihr, doch er verfehlte sie, was sein Glück war. Lisandra genoss immerhin eine Kampfausbildung und für einen Stoffhasen reichten ihre Prügelkenntnisse allemal. Aber er hatte sie nicht getroffen und sie war als Kröte ein bisschen faul, darum quetschte sie sich wortlos unter der Kommode hindurch und kehrte ins Dunkel der Gänge des vierten Stockwerks zurück.
Was nun? Sie saß eine Weile in den Schatten herum und hatte ein mulmiges Gefühl. Es war fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Warum nur? Es war doch alles richtig, was sie dem Hasen unter die empfindliche Nase gerieben hatte?
Sie hüpfte halbherzig in Richtung Treppe und nahm ein paar Stufen hinauf zum fünften Stock, um dann mitten auf der Treppe sitzen zu bleiben. Sie hätte sich an den Kopf gefasst, wenn sie statt der Krötenfüße eine Hand gehabt hätte. Denn es wurde ihr schlagartig klar, was nicht stimmte: Alles, was sie zu Rackiné gesagt hatte, hätte sie auch zu sich selbst sagen können!
Nicht, weil sie übermäßig selbstsüchtig und feige gewesen wäre, sondern weil
Weitere Kostenlose Bücher