Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
ihren Hinterbeinen zuckte. Lisandra schrie auf (schließlich hatte sie schon schlechte Erfahrungen mit silbernen Kröten gemacht) und Geicko grinste breit.
„Willst du meine ehrliche Meinung hören?“
„Nein, spar sie dir! Ich fürchte, ich habe das Rätsel noch nicht gelöst.“
„Erzähl mir später, wie es ausgegangen ist“, sagte er und machte Anstalten, Lisandra zu verlassen.
„Halt, Geicko!“
„Ja?“
„Ich habe Angst, dass sie wieder wächst, wenn du weg bist.“
„Aber ist das nicht der Sinn und Zweck der Sache?“, fragte er. „Ich nehme an, du sollst alleine damit klarkommen.“
„Schon.“
„Falls es dich beruhigt: Ich glaube dir, dass sie dich fressen wollte.“
Er lachte noch mal und verabschiedete sich. Lisandra blieb stehen, wo sie war, die eine Hand an ihr Fransenteppichkleid geklammert, die andere in der Luft mit einer Kröte zwischen Daumen und Zeigefinger.
Kapitel 17: Von Hasen und Kröten
Es kam, wie es kommen musste: Kaum waren Geickos Schritte verklungen, strampelte die Kröte so kräftig, dass sie Lisandras Fingern entglitt und zu Boden fiel. Dort wuchs sie schlagartig und obwohl Lisandra sofort losrannte, kam sie nicht weit. Die Krötenzunge wickelte sich um Lisandras Hüfte, brachte sie zu Fall und schleifte sie über den Boden. Lisandra merkte kaum, wie ihr geschah, und dann machte es ‚Schnapp!’. Großes Maul auf, großes Maul zu und Lisandra befand sich im dunklen Inneren der Kröte.
Das war unglaublich genug, doch am meisten überraschte es Lisandra, dass ihre Panik auf einmal wie weggeblasen war. Die ganze Zeit hatte sie sich davor gefürchtet, von der Kröte gepackt und verschlungen zu werden. Jetzt, da es wirklich passiert war, hatte Lisandra keine Angst mehr, sondern war ruhig, gespannt und sogar neugierig. Ihr kam in den Sinn, was Yu Kon einmal im Zusammenhang mit dem Silberschwert gesagt hatte:
„Ihr müsst eure größte Schwäche finden“, hatte er erklärt, „und ganz und gar in ihr verschwinden, bis nichts anderes mehr von euch übrig ist als diese lästige, schreckliche Schwäche. Nur wenn ihr darin untergeht, wenn ihr euch von eurer größten Schwäche verschlingen lasst, wird es euch gelingen, diese Schwäche in eure größte Stärke zu verwandeln.“
So war das also. Lisandra hatte sich von ihrer größten Schwäche fressen lassen. Wenn es stimmte, was Yu Kon gesagt hatte, war dies der einzige Weg, die eigene Schwäche zu beherrschen. Man musste ihr nachgeben. Lisandra wusste zwar immer noch nicht, worin ihre größte Schwäche nun eigentlich bestand, doch es fiel ihr nicht schwer, der Kröte nachzugeben, in der sie steckte. Statt ein hilfloses Nichts zu sein, das im Inneren der Kröte herumspukte, schickte sie ihre Gefühle nun in alle Richtungen und dehnte sich aus. Sie erspürte die Augen der Kröte und begann zu sehen, sie erspürte die Atemlöcher der Kröte und begann zu atmen, sie erspürte die Zunge der Kröte und öffnete versuchsweise das Maul. Dann erspürte sie die vier Füße der Kröte und machte einen Schritt nach vorne. Denn sie war jetzt die Kröte und das fand sie gut so.
In gemächlichem Tempo durchquerte sie Hüpfer um Hüpfer den Gang, in dem sie sich befand. Sie hatte nicht den Ehrgeiz, irgendwo anzukommen, sondern widmete sich ganz ihrem Krötendasein, das sich im Vergleich zu den Strapazen des Vormittags erholsam und lustig anfühlte. Die Kröte war wieder geschrumpft, besaß aber gerade eine ordentliche Größe, die es Lisandra erlaubte, Treppenstufen nach oben und nach unten zu springen oder auch mal eine Fensterbank zu erklimmen. Je länger Lisandra als Kröte durch die Festung hüpfte, desto wohler fühlte sie sich. Ihr war gerade alles egal – Yu Kon, Geicko, Haul und der ganze Erdenkinderkram. Am besten wäre es, eine silberne Kröte zu bleiben, für den Rest ihres Lebens, dann hätte sie keine Sorgen mehr.
Lisandra dachte an den Geldmorgul Perm, der ja auch eine krötenähnliche Statur hatte (nur viel größer und schleimiger) und entwickelte zum ersten Mal Verständnis für seine Insekten-Gelüste. Wenn man eine Kröte war, konnte man sich vorstellen, dass saftige Fliegen und haarige Spinnen lecker schmeckten. Es war eben alles eine Frage der Perspektive. Oder der Erscheinungsform, in diesem Fall.
Es mochten Stunden auf diese Weise des ziellosen und zufriedenen Herumhüpfens vergangen sein, als Lisandra dämmerte, dass die Gleichgültigkeit der Kröte, die sich so angenehm anfühlte, auch eine Falle
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