Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
war. Denn nichts veränderte sich. Lisandra hatte kein Ziele und Wünsche und das erwies sich auf Dauer als lähmend. Womöglich würde Lisandra tatsächlich für den Rest ihres Lebens eine silberne Kröte bleiben, wenn sie nicht bald etwas unternahm, um ihren Zustand zu verändern. Nur – dazu fehlten ihr der Wille und die Lust.
Aus einer gewissen Ratlosigkeit heraus begab sie sich in das Gebäude mit den ungeraden Zimmernummern und hüpfte eine Treppe nach der anderen hinauf. Im vierten Stock war sie so ermüdet vom ständigen Springen, dass sie beschloss, keine weitere Stufe in Angriff zu nehmen. Sie watschelte den Flur entlang und quetschte sich unter einer Kommode hindurch, die ein Loch zu einem Erker versperrte, in dem die Heizung kaputt war – oder um genau zu sein: in dem die Heizung jedes Jahr aufs Neue kaputt ging, weil irgendetwas in den Heizungsrohren hauste, dem nicht beizukommen war. Es war also eiskalt in diesem abgesperrten Gebäudeteil, was der Kröte aber nichts ausmachte, da sie ein wechselwarmes Tier war, das seine Körpertemperatur der Umgebung anpasste. Noch so eine praktische Eigenschaft der Kröte.
„Hallo Lisandra!“, sagte eine Stimme von oben.
Die Kröte schaute erstaunt in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Oberhalb von ihr, auf einer Kiste, hatte sich jemand ein Nest aus Decken gebaut. Aus dem Nest von Decken schaute ein Hasenkop f hervor, dessen Ohren traurig herabhingen. Er schaute die Kröte eine Zeit lang an, dann guckte er wieder aus dem Fenster.
„Woher weißt du, dass ich es bin?“, fragte Lisandra.
Jetzt richteten sich die Hasenohren leicht auf und der Hase, der vorher teilnahmslos gewirkt hatte, musterte Lisandra mit Interesse.
„Stimmt, du bist ja eine Kröte“, sagte Rackiné . „War mir auf den ersten Blick gar nicht aufgefallen.“
„Charmant wie immer!“
„Ich hab nur gedacht: Warum kriecht sie blöd auf dem Boden herum?“
„Was hat dir denn die Laune so verhagelt?“, fragte Lisandra.
„Nichts.“
Jetzt schaute der Hase wieder aus dem Fenster und die Ohren sanken hinab. Er sah wirklich traurig aus. Es rührte Lisandra, obwohl es eigentlich keinen Grund gab, Mitleid mit Rackiné zu haben. Denn er hatte selten welches mit anderen Leuten.
„Hattest du Streit mit Jumi?“
„Ne.“
„Streit mit Thuna?“
„Ne.“
„Was hast du dann?“
„Nichts.“
Lisandra fielen keine Fragen mehr ein, darum blieb sie einfach sitzen, wo sie war, und schwieg. Sie erwartete nicht, dass diese Situation irgendwo hinführte, sie war nur einfach zu faul, ihren Platz zu verlassen, der schön hell war und staubig und den einen oder anderen Leckerbissen hervorzubringen versprach, denn Lisandra konnte in den Ecken dichte Spinnweben erkennen.
„Ich will kein Stoffhase mehr sein!“, sagte Rackiné plötzlich. Er starrte immer noch aus dem Fenster.
„Rackiné“, sagte Lisandra, „die Zeiten, in denen du ein süßer, kleiner, kuscheliger Stoffhase gewesen bist, sind schon lange vorbei.“
„Trotzdem bin ich kein Mensch und ich bin auch kein Hase. Ich bin nichts Richtiges!“
„Du bist du“, sagte Lisandra in fast gelangweilter Kröten-Manier. „Ist doch egal, wie man’s nennt.“
„Ich werde nie dazugehören.“
„Zu was?“
„Zu euch. Zu den richtigen Menschen!“
„Ha, das ist lustig! Sehe ich gerade wie ein richtiger Mensch aus?“
„Nein. Aber wie gesagt, der Unterschied zwischen dir und deiner Krötenform ist nicht so groß.“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“
Der Hase grinste.
„Das passt dir nicht, was?“
„Rackiné, wenn du nicht an deinen Umgangsformen arbeitest, wirst du tatsächlich nie dazugehören.“
„Ich hab doch nur Spaß gemacht“, sagte er und verfiel wieder in seine Ich-bin-ein-armer-Hase Stimmung.
„Warum willst du denn plötzlich ein richtiger Mensch sein und dazugehören?“
„Weiß nicht.“
„Rackiné?“
„Hm.“
„Hat es vielleicht was mit Thuna zu tun?“
„Sie wird mich nie ernst nehmen!“
Aha. Daher wehte also der Wind.
„Sie behandelt mich immer wie ein Kind!“, schimpfte Rackiné jetzt. „Dabei bin ich genauso groß wie sie!“
„Rein körperlich.“
„Manchmal habe ich das Gefühl, sie sieht mich gar nicht richtig an! Sie sieht nur das, was sie sehen will!“
„Ich weiß nicht, ob es so ein großer Vorteil wäre, wenn sie dich so sieht, wie du bist.“
„Jetzt bist du uncharmant!“
„Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“
„Bin ich denn
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