Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
ihn allein, denn sein Freund, der Unhold, würde auch dort wohnen. Aber der schlief ganz gern auf dem Fußboden.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Die Eckkammer im sechsten Stock, die gerade so groß war, dass ein Bett reinpasste u nd man sich daneben stellen konnte, um die sehr schmale Fensterluke zu öffnen, wurde zu Rackinés persönlichem Reich. Die Mädchen waren erstaunt, wie gemütlich er sich den winzigen Raum einrichtete – mit Bildern, Flickenteppichen, Kissen und Vorhängen, die er in der ganzen Festung zusammengeklaut hatte. Sogar eine Lampe hatte er aufgetrieben, die mit einem rötlichen Öl brannte und nach Erdbeeren und Vanille duftete.
Scarlett bewies, dass sie nicht nachtragend war, und es durchaus gut mit Rackiné meinte, indem sie mit Berry einen Zauber vor die Tür der Kammer strickte, der bewirkte, dass die Kammer allgemein übersehen und nicht beachtet wurde. Sollte es dennoch ein unerwünschter Gast wagen, Rackinés Reich zu betreten, so sollte er ein böses Wunder erleben. Dieser Zauber fiel vor allem in Scarletts Bereich und sie verwendete viel Energie darauf, da es ihr, wie sie sich eingestehen musste, schon Spaß machte, gehässige Zauber zu spinnen.
Erwünschte Gäste hatten nichts zu befürchten und fanden die Kammer ohne Probleme. Zu diesen zählten der Unhold, Lisandra, Maria, Thuna , Berry und Scarlett sowie – und das war überraschend – Jumi, der quietschende Jummigummi . Womit hatte sie sich diese Ehre verdient? Mit einem hysterischen Kreischanfall, der zum Ausdruck bringen sollte, dass sie Rackiné soooo süüüüß und niedlich fand, dass es ihr schwerfiel, ihn nicht zu streicheln.
„Darf ich?“, fragte sie beim ersten Zusammentreffen mit vor Eifer geröteten Wangen.
„Na gut“, antwortete Rackiné und bekam die beste Nackenmassage seines Lebens, wie er später betonte.
Aus diesem Grund wurde Jumi in das Geheimnis von Rackinés Aufenthaltsort eingeweiht und tatsächlich besuchte sie ihn ab und zu. Maria schüttelte nur den Kopf, wenn sie sah, wie Rackiné in Jumis Gegenwart in alte Stoffhasengewohnheiten zurückfiel und so tat, als wäre er ein anschmiegsames, braves Schoßtier. Jumi hatte ja keine Ahnung!
In dieser Hinsicht war Rackiné gewissenlos. Er genoss Jumis Aufmerksamkeit und nicht enden wollende Bereitschaft, ihm das Fell zu kraulen, doch so richtig ernst nahm er sie nicht. Auch Olgatha, mit der ihn wohl während der Winterferien eine kleine Romanze verbunden hatte, kam in seinem Ansehen nicht besonders gut weg. Sein Herz und seine Achtung gehörten Thuna, nach wie vor. Er war nur dazu übergegangen, ihre nüchternen, freundschaftlichen Gefühle ihm gegenüber durch die eine oder andere Ablenkung zu kompensieren .
„Dieser Hase überrascht mich immer wieder“, sagte Berry, als Maria erzählte, dass Jumi in Gürkel Leckerbissen für Rackiné gekauft hatte. Weil sie ihn so gerne fütterte! Rackiné hatte Jumi zu diesem Zweck eine Einkaufsliste mit Leckereien diktiert, die er gerne haben wollte. Jetzt, da der Schulgarten, in dem er so gerne Blüten naschte, zugeschneit war, war der Hase auf Import-Blumen angewiesen.
„Ich frage mich, was aus ihm werden soll!“, schimpfte Maria. „Dazu habe ich ihn bestimmt nicht erzogen!“
„Wer weiß“, sagte Berry. „Du hast ihn schon immer verwöhnt und ihm das Gefühl gegeben, dass er für dich das Wichtigste auf der Welt ist. Jetzt bekommt er das nicht mehr von dir und sucht es sich woanders.“
„Aber es hätte sich doch auch auswachsen können!“
Scarlett lachte, als sie das hörte.
„Fehler in der Erziehung wachsen sich nicht aus. Sie rächen sich!“
„Vielleicht kann Thuna noch etwas bei ihm retten“, meinte Berry. „Sie hat den größten Einfluss auf ihn.“
„Oh, danke“, sagte Thuna. „Was für eine Ehre!“
Scarlett hatte lange mit sich gerungen. Sie hätte Gerald liebend gerne wiedergesehen, doch sie wollte ihn nicht zu Grohann führen. Es wäre ihr wie Verrat vorgekommen. Außerdem war es zu gefährlich. Was würde Grohann mit ihm machen? Was würde er an Geheimnissen aus Gerald herausquetschen? Bisher wusste niemand von der Regierung, dass Geralds Vater ein Erdenkind war. Ritter Gangwolf galt als angesehener Bürger Amuyletts. Er hatte Freunde in einflussreichen Kreisen und organisierte gleichzeitig eine Widerstandsbewegung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die wahren Ziele von mächtigen Regierungsmitgliedern zu enttarnen. Etwas war im Gange, etwas, das mit dem drohenden
Weitere Kostenlose Bücher