Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Weltuntergang zu tun hatte, doch es war schwer, etwas darüber herauszufinden. Nein, Ritter Gangwolf durfte nicht in Grohanns Fänge geraten. Und Gerald sollte wenigstens vorher gewarnt werden. Nur wie?
„Du solltest es endlich Viego erzählen“, meinte Maria, als sie mit Scarlett durch den tief verschneiten Schulgarten stapfte, um das Problem ohne Zuhörer zu erörtern. „Er kann Ritter Gangwolf benachrichtigen und der kann Gerald in seiner Welt besuchen und ihm sagen, was los ist.“
„Was wird Gerald sehen, wenn er in Augsburg vor der Tür steht und wir nicht da sind ? Eine ganz normale Tür?“
„Das nehme ich an. Ich glaube, es gibt den Durchgang nur, wenn ich in der Spiegelwelt bin.“
„Und wenn du nicht in der Spiegelwelt bist, kommt Grohann nicht an Gerald heran?“
„Nein. Jedenfalls nicht über diese Tür.“
„Dann ist es gut, dass du die Spiegelwelt im Moment nicht betrittst.“
„Hm, kann sein“, sagte Maria wenig überzeugt.
Scarlett blieb stehen und stellte fest, dass ihre Stiefel voller Schnee waren. Es war keine gute Idee, bei dem Wetter von den gekehrten Wegen abzuweichen.
„Wir müssen alle Opfer bringen“ sagte sie und versuchte, den Schnee aus den Stiefeln herauszupulen. „Ich lasse mich von Viego ausschimpfen und du kommst noch ein paar Wochen ohne Spiegelwelt aus. Es ist ja nicht nur wegen Gerald. Wenn dir Grohann in die Spiegelwelt folgt … Warum hast du eigentlich keinen Schnee in deinen Stiefeln?“
Maria hob ihren Rock hoch und zeigte Scarlett zwei rosa Stulpen, die Marias Stiefel und die langen Unterhosen vor dem Schnee schützten.
„Sie sind nicht hübsch, aber praktisch! Hab ich in einem meiner Koffer gefunden!“
„Manchmal möchte ich deine Koffer haben.“
„Ich habe wirklich Sehnsucht nach der Spiegelwelt“, sagte Maria. „Aber jedes Mal ist eine Maküle da, wenn ich auch nur in die Nähe eines großen Spiegels komme. Dann traue ich mich nicht hinein. M anchmal frage ich mich schon, was Gerald denkt, wenn wir Woche für Woche nicht an der Tür erscheinen.“
„Er wird sich Sorgen machen!“
„Ja, genau, Scarlett. Deswegen solltest du dein Gespräch mit Viego nicht länger aufschieben. Gerald muss Bescheid wissen!“
Scarlett nickte betreten.
Mit durchnässten Hosen, Strumpfhosen und Stiefeln kehrte Scarlett in die Festung zurück. Der Weg zu Zimmer 773 war weit, deswegen verzichtete sie darauf, sich umzuziehen, sondern stieg gleich die Treppe zum vierten Stock hinauf, wo der Halbvampir Viego Vandalez sein Arbeitszimmer hatte. Auf dem Weg nach oben kam ihr Hanns entgegen. Auch er war nass, das blonde Haar klebte ihm am Kopf und der Wams, den er zum Training immer trug, hatte dunkle Flecken. Scarlett hielt es erst für Wasser, das von geschmolzenem Schnee herrührte, doch dann sah sie, dass die Flecken dunkelrot waren. Vor lauter Schreck über diese Entdeckung vergaß sie, dass zwischen ihr und Hanns Funkstille herrschte.
„Bist du verletzt?“, fragte sie.
„Ja, Haul hat mich mit dem Schwert erwischt“, antwortete er im Vorbeigehen. „Aber Estephaga konnte es wieder richten.“
„Ist er nicht dein Leibwächter?“, rief Scarlett hinter ihm her, denn Hanns war schon um die Kehre gelaufen und stieg die nächste Treppe hinab.
Er hatte es offensichtlich eilig und blieb Scarlett eine Erwiderung schuldig. Es war ja auch nicht nötig, sie hatte nur einen Witz gemacht. Ein Leibwächter, der seine Hoheit umhaute. War doch lustig, oder? Aber Hanns hatte nicht gelacht und auch Scarlett war nicht zum Lachen zumute.
„Toll, Scarlett“, murmelte sie. „wenn du so weitermachst, spricht nächstes Jahr niemand mehr mit dir.“
Wenigstens hatte Scarlett mit Thuna Frieden geschlossen. Es war ihr zwar ein Dorn im Auge, dass Thuna unbedingt mit Grohann befreundet sein musste, doch Thuna versicherte ihr, dass sie mit Grohann nicht über Sumpfloch oder ihre Freundinnen gesprochen hatte und es auch nicht tun würde. Und weil Thuna eine absolut ehrliche Haut war, glaubte ihr Scarlett, und sprach nicht mehr über diese Angelegenheit. Nicht mal an dem Sonntagmorgen, als Thuna wieder einmal mit Grohann im Wald verschwand. Es war ein Ärgernis, das sie hinnehmen wollte, um ihrer Freundschaft willen. Auch wenn sie es beim besten Willen nicht verstand.
Schweren Herzens ging Scarlett den Flur entlang, der zu Viego Vandalez’ Arbeitszimmer führte. Dort angekommen, klopfte sie entschlossen gegen die Tür und hoffte doch gleichzeitig, dass er nicht da war.
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