Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
starrte Scarlett an und schien schweigend auszurechnen , ob diese Enthüllung mehr Gutes oder Schlechtes mit sich brächte.
„Meine liebe Scarlett“, sagte er schließlich, „du würdest mir das alles nicht erzählen, wenn nicht etwas schiefgelaufen wäre. Habe ich recht?“
„Vollkommen“, gestand Scarlett. „Wir haben uns mit Gerald verabredet. Er wollte eine Woche später wieder an die Tür kommen. Für den Fall, dass etwas dazwischenkommt, wollten wir uns eine weitere Woche später wieder dort treffen. Immer wieder, bis es noch mal klappt.“
„Aber?“
„Wir sind nie wieder in die Spiegelwelt gegangen seitdem, weil Grohann uns erwischt hat, als wir sie verlassen haben. Er hat uns aufgetragen, Gerald zu ihm zu bringen, wenn er wiederkommt!“
„Das ist allerdings eine Katastrophe!“, rief Viego und sprang auf. „Woher weiß Grohann von Gerald?“
„Keine Ahnung. Er hatte jedenfalls schon so eine Vermutung, dass Gerald ein Erdenkind ist. Und zwar das z weite, das sich unsichtbar machen kann. Er hat mich und Maria getrennt verhört und danach war er sich wohl sicher, obwohl wir wirklich versucht haben, ihm nichts zu sagen.“
„Ihr könnt nichts dafür!“, sagte Viego, der nun den spärlichen freien Platz in seinem Arbeitszimmer dazu nutzte, erregt auf und ab zu wandern. „Es liegt am Namen. Ich habe Gangwolf gleich gesagt, dass er Gerald nicht nach seiner Tante nennen soll.“
„Aber er ist doch nicht der einzige Gerald in dieser Welt, oder?“
„Nein, nein“, sagte Viego. „Aber …“
„Ja?“
„Gangwolf und seine Schwester Geraldine haben ihre Verwandtschaft von Anfang an verheimlicht. Geraldine hat offen zugegeben, welches Talent sie besitzt, Gangwolf wollte es niemandem verraten. Also durfte niemand wissen, dass die beiden Bruder und Schwester sind, denn sonst hätte jeder gewusst, dass Gangwolf ein Erdenkind ist. Gangwolf legte sich eine ausgetüftelte Vergangenheit zurecht, Geraldine erzählte freimütig, dass sie aus einer anderen Welt stammte. Hätte sie es bloß nie getan!“
„Meinen Sie, die Regierung hätte es nicht herausgefunden?“
„Nein. Sie wäre sicher gewesen. Aber sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass man sie aufgrund ihres Talents verfolgen oder gar töten würde. So etwas kam in Geraldines Weltbild nicht vor. Sie hatte die gefährliche Eigenschaft, in allem und jedem das Beste zu sehen.“
„Die hat Gerald auch.“
„Er ist nicht ganz so gutgläubig, denke ich, aber ja, vielleicht ist er auch zu gut für diese Welt.“
„Dann haben alle geglaubt, dass Geraldine und Gangwolf nur Freunde sind?“
„Ja. Sie kamen aus unterschiedlichen Richtungen nach Sumpfloch und ich selbst wusste lange Zeit nicht, dass sie miteinander verwandt waren. Aber kommen wir zu unserem Problem zurück: Grohann weiß natürlich, dass Gangwolf, ich und Geraldine befreundet waren. Er weiß, dass Geraldine und ich heiraten wollten und dass sie kurz vorher ermordet wurde. Nun taucht in meiner Nähe ein Junge namens Gerald auf, der viel zu wohlhabend und gut erzogen ist, um auf eine Schule wie Sumpfloch zu gehen. Natürlich hat er Geralds Leben unter die Lupe genommen und Unregelmäßigkeiten festgestellt. Er muss Verdacht geschöpft haben und wird sich Gedanken darüber gemacht haben, ob Gerald nicht eines der Erdenkinder ist. Das letzte Erdenkind, das sich unsichtbar machen konnte, hieß Geraldine. Wer könnte so sentimental sein, dem nächsten Erdenkind mit der gleichen Eigenschaft denselben Namen zu geben? Ritter Gangwolf oder ich? Grohann wird das Richtige vermuten und ihr habt ihn in seinen Vermutungen bestärkt.“
„Hat er Geraldine gekannt? Ich meine, persönlich?“
Scarlett hätte das nicht fragen sollen. Das Gesicht des Halbvampirs verdüsterte sich wie ein Himmel vor einem Jahrhundertsturm.
„Grohann war an ihrer Ermordung beteiligt“, sagte Viego mit einer Grabesstimme, so tief und bleiern, dass es Scarlett kalt vom Zuhören wurde. „Er war dabei, als sie Geraldine in die tote Welt geschickt haben. Tu mir einen Gefallen und sprich mich nie wieder darauf an!“
„Ja, verstanden“, sagte Scarlett und beeilte sich, das Thema zu wechseln. „Was soll ich denn nun tun? Könnte Ritter Gangwolf Gerald warnen? Und ihm sagen, dass er nicht mehr zu der Tür kommen soll?“
„Lass mich darüber nachdenken. In Ruhe!“
Scarlett verstand. Sie stand auf, überlegte kurz, ob sie etwas sagen sollte wie „Tut mir leid!“ oder „Ich wollte Ihnen keine
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